Editorial | Denkpause 17 | 25.03.02
LiebeR LeserIn,»Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft« sagt man in Deutschland. In Japan dagegen sollen sie zur Pflicht geworden sein, glaubt man Aussagen von Beratungsbüchern für Menschen, die dorthin reisen wollen. »Bringen Sie Geschäftsfreunden ein kleines typisches Geschenk aus ihrer Heimat mit«, bei jedem Arbeitsessen oder Treffen sollten diese dann ausgetauscht werden. Dutzende Gartenzwerge hatte ich also für meine Termine in Tokio angeschafft. Mit japanischen Abgeordneten, RechtsanwältInnen und Bürgerrechtsorganisationen diskutierte ich über die Anstrengungen, ein japanisches Überwachungsgesetz von 1999 wieder abzuschaffen und gegen das Spionagesystem Echelon vorzugehen. Die öffentliche Aufmerksamkeit hierfür ist in Japan enorm. Zu einer Veranstaltung, bei der ich über den Echelon-Ausschuss im Europäischen Parlament berichtete, kamen über 250 Menschen. Antiproportional zum hohen politischen Ergebnis verhielt sich allerdings das Interesse an den Geschenken: Die Gartenzwergpopulation nahm kaum ab und musste nach drei Tagen fast vollständig wieder nach Europa zurückreisen. Beschenkt wurde ich dann immerhin wenige Tage später in London von der Organisation »Privacy International« mit dem »Winston Award« für besondere Verdienste um die Bewahrung der Privatsphäre und den Schutz der Menschenrechte. Zwar dürfte eine solche Auszeichnung nicht so viel zählen, wie das Geschenk, von den deutschen Grünen als »dumme Gans« oder von der rechtsextremen Jungen Freiheit als »dummes Mädchen« bezeichnet zu werden, aber vielleicht gefällt es denjenigen unter Ihnen, die in der Denkpause schon immer mal was Positives lesen wollten. Ihre Ilka Schröder |
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