ilka.org-Logo (Link auf Startseite)
Ilka Schröder

Startseite>Denkpause>

Denkpause 18 | 22.04.02

Satellitennavigation dient vor allem militärischen und Repressionszwecken

Krieg im Weltraum

Als ziviles Programm zur Satellitennavigation wird Galileo in den Broschüren der Europäischen Kommmission gepriesen, das Züge am Entgleisen und Schiffe am Untergehen hindern sowie Alzheimer-PatientInnen über die Straße helfen soll. Von militärischen Nutzanwendungen keine Rede. Dabei ist Satellitennavigation eine Schlüsseltechnologie für den Hightech-Krieg des 21. Jahrhunderts.

Schöne neue Hightech-Welt: 30 Satelliten schweben gleichmäßig und präzise verteilt in 20.000 Kilometern Höhe über der Erdkugel, jeder von ihnen ist mit einer hochgenauen Atomuhr ausgestattet. Überall auf der Welt wird sich aus den Signalen, die die Satelliten senden, nicht nur die fehlerfreie Uhrzeit berechnen lassen, sondern auch die zentimetergenaue Position. Und all das streng zivil, als »eines der größten technologischen Projekte im Dienste der Bürger«, wie EU-Kommissarin Loyola de Palacio schwärmt. »Wenn ein Nutzer heute hoffen kann, dank GPS die Straße zu ermitteln, in welcher sich sein Auto befindet«, heißt es in einer jüngst erschienenen Werbebroschüre der EU-Kommission, »wird er mit Galileo herausfinden können, in welcher Garage es steht«.

Schön und gut, aber wer sollte daran eigentlich Interesse haben? Die Förderung des Alkohols im Straßenverkehr gehört bisher nicht zu den Prioritäten der EU-Kommission, und wer trotzdem mal ein Gläschen über den Durst trinkt, dem kann mit dem US-amerikanischen GPS-System geholfen werden, das es gestattet, die Position auf etwa 20 Meter genau zu berechnen. Tatsächlich ließe sich auch mit GPS noch genauer orten: Atmosphärische Störungen sind dafür verantwortlich, dass das Signal verzerrt auf der Erde ankommt; doch diese Störungen lassen sich ausfiltern. Für militärische Zwecke praktizieren die US-Streitkräfte dies auch. Doch anderen Staaten stellen die USA - abgesehen von Ausnahmefällen wie dem Kosovokrieg - das Signal nur in »gestörter« Qualität zur Verfügung. Hier liegt die Erklärung, warum die EuropäerInnen der Meinung sind, sie bräuchten nun ein Milliarden teures Satellitennavigationssystem: Nicht nur in den Büros und in den Wohnzimmern der UserInnen hat eine Informationsrevolution stattgefunden, auch und vor allem für die Militärs gilt mehr denn je, dass Wissen Macht ist.

Längst erkannt hat das Gerhard Schröder. Am 03.02.2001 wurde dem Kanzler auf der Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik vorgehalten, die europäischen Staaten riskierten, von Informationen der USA abhängig zu werden und überhaupt nicht mehr eigenständig agieren zu können. Darauf antwortete Schröder: »Ich weiß nicht, ob Sie mit der (...) Analyse in diesem Sektor Recht haben. Ich weiß von erheblichen Möglichkeiten, die die europäische Rüstungsindustrie in diesen Fragen hat. Sie sollten das Galileo-Programm, das wir auf den Weg gebracht haben, auch nicht unterschätzen. Es hat sowohl einen zivile als auch eine militärische Komponente.« Worin diese militärische Komponente besteht, das lässt sich unschwer an den militärischen Nutzanwendungen des konkurrierenden GPS ablesen: Von der Führung der mit tragbaren Computern ausgestatteten Hightech-Bodentruppen bis zur Steuerung von Cruise Missiles und so genannten Smart Bombs gibt es kaum eine Komponente des modernen Kriegs, die ohne Satellitennavigation denkbar wäre. Mit dem Aufbau der so genannten Krisenreaktionskräfte der EU und der Aufrüstung auch im Bereich der Hochtechnologie-Distanzwaffen - so etwa dem Marschflugkörper Taurus, von dem allein Deutschland 685 Stück kauft - besteht dafür auch in Europa Bedarf. Die ergänzenden Bilder dazu liefern genuine Spionagesatelliten wie der von der Bundeswehr betriebene »SAR-Lupe«.

Kein Wunder also, dass sich die europäischen Staats- und Regierungschefs ausgerechnet auf ihrem Gipfel in Barcelona am 16. März unter dem noch frischen Eindruck des US-Sieges in Afghanistan entschlossen, das Galileo-Projekt zu realisieren. Zuvor hatten sie fast zwei Jahre lang gezögert, der Satelliten-Navigation zuzustimmen.

Auch der so genannte Kampf gegen den Terrorismus, der unter der derzeitigen spanischen EU-Präsidentschaft alle Politikbereiche durchdringt, dürfte weiteren Rückenwind für Galileo verursacht haben. Denn auch für Überwachungszwecke ist Galileo mindestens so gut zu gebrauchen wie sein Vorbild GPS. Und waren europäische Überwachungsbehörden bisher darauf angewiesen, dass die USA speziell codierte Militär- und Polizeifrequenzen freigaben, wenn etwa ein Auto mit einem GPS-Sender ausgestattet werden sollte, so können sie nun ganz selbstständig entscheiden. Mit dem Galileo-Start in sechs Jahren will Europa vollständig unabhängig werden von den schwierigen Verbündeten in Übersee - egal, ob es nun um äußere Gewaltanwendung oder Repression nach innen geht. Von Anfang an protestierten die USA gegen die ehrgeizigen europäischen Pläne. Vornehm tun vor allem die EuropäerInnen nach wie vor so, als gehe es vor allem um wirtschaftliche Interessen auf dem angeblichen Zukunftsmarkt Satellitenkommunikation. Die EU-Kommission geht gar mit einem Bericht hausieren, der zu dem Schluss kommt, mit dem Satellitensystem ließen sich Gewinne in Höhe von zehn Milliarden Euro jährlich erwirtschaften - aus dem Verkauf von Chips und Lizenzgebühren für Dienste-Anbieter. Schließlich sei Galileo präziser und ausfallsicherer als GPS und werde zudem für PrivatanwenderInnen gratis zur Verfügung gestellt. Auch GPS ist zwar gebührenfrei, doch, so argumentiert die Kommission, man kann ja nie wissen: Wenn die USA nun plötzlich Gebühren verlangen? Bei den aufrechten EuropäerInnen ist so etwas selbstverständlich ausgeschlossen. Auch mit der Ausfallsicherheit ist das so eine Sache: Auf der einen Seite argumentiert man in Brüssel zwar, bisher sei man von den USA abhängig, denn diese könnten - etwa im Fall eines Krieges - GPS einfach abschalten. Andererseits hat die EU genau das selbst vor. »Da eine Nutzung von Galileo in böswilliger Absicht eine Gefährdung der europäischen Interessen darstellen könnte«, heißt es in der Mitteilung der EU-Kommission zu Galileo, »sind vorbeugende und abhelfende Maßnahmen vorzusehen (Entzug des Dienstes, Ausfuhrbeschränkungen für bestimmte Komponenten).«

Sprich: Abschalten, genau wie die USA dies während allfälliger regionaler Konflikte tun. Was bleibt also von den angeblichen Vorteilen von Galileo gegenüber GPS? Die amtliche Normalzeit wird schon jetzt über GPS-Satelliten verbreitet. Die Behauptung der Vizepräsidentin der EU-Kommission, Galileo stelle »eine technologische Revolution dar, die mit der durch den Mobilfunk ausgelösten vergleichbar ist«, weil mit Galileo »die gleichzeitige Bestimmung von Standort und Zeit ermöglicht« werde, gehört also ins Reich der Legende.

Etwas ehrlicher war da Palacios Landsmann, der spanische Transport-Minister und derzeitige Vorsitzende des Verkehrsrates, Francisco Alvarez-Cascos: Es gebe keinen Grund, sagte er Ende März, nachdem der Rat sich endgültig für Galileo ausgesprochen hatte, warum militärische Anwendungen nicht zum Leistungsspektrum von Galileo gehören sollten, wenn dabei die Gesetze respektiert würden. Ohne Galileo würde die EU den USA »untergeordnet« und also »nur teilweise souverän« bleiben. In dieselbe Kerbe hatte zum Jahresende 2001 schon der ehemalige schwedische Premierminister Carl Bildt geschlagen: »Wenn Europa als Partner der USA wirklich ernst genommen werden will«, schrieb er in der Financial Times, »und sich gleichzeitig für seine Wirtschaftsentwicklung maßgebende Kapazitäten sichern will, muss es beweisen, dass es sowohl über den Willen als auch über die Mittel zur Schaffung einer Präsenz im Weltraum verfügt. Galileo ist in vielerlei Hinsicht ein Lackmustest für die EU.«

Das klingt sehr nach einem Minderwertigkeitskomplex der EuropäerInnen, die neidisch auf den High-Tech-Staat USA starren. Doch die EU will nicht auf Dauer in der Rolle des ewigen Zweiten verharren. Das bestätigte am 9. April im Plenum des Europäischen Parlaments auf seine etwas verquaste Art der EU-Kommissar für Außenbeziehungen, Chris Patten: Er habe »über die wichtige Debatte gelesen, ob Europa mehr ausgeben sollte für präzisionsgesteuerte Raketen, für Spezialkräfte, für Lufttransport-Kapazitäten, für Militär-Kommunikation«.

Ein »sehr bedeutendes intellektuelles und politisches Argument« scheine ihm dabei zu sein, »dass, wenn wir nicht bereit sind, hier mehr auszugeben, zu einem bestimmten Zeitpunkt die Auswirkungen auf die transatlantischen Beziehungen, was die unterschiedliche technologische Kapazität angeht, unweigerlich zur Destabilisierung führen müssen.« Mit anderen Worten: Wenn die USA nicht ja sagen zur EU-Aufrüstung im Weltraum und auf der Erde, dann kracht’s in den Beziehungen zwischen dem Global Player USA und seinem ehrgeizigen Konkurrenten EU.


GPS
Global Positioning System; von den USA betriebenes System von 24 Navigationssatelliten; zurzeit der Standard für Standortfeststellung - die eigene sowohl wie diejenige von Personen und Fahrzeugen, welche von Polizei oder Geheimdiensten beobachtet werden.

Galileo
Die europäische GPS-Konkurrenz soll 2008 einsatzfähig sein und etwa 30 Satelliten einsetzen. Die Haupt-Investoren sind die EU mit 350 Millionen Euro und die European Space Agency (esa) mit 550 Millionen. Ab 2006 soll das System von einer halbprivaten Trägergesellschaft betrieben werden.

Galileo-Homepage der Europäischen Kommission.

Gerhard Piper über die wachsende Bedeutung von Satelliten in der modernen Kriegsführung.

Otfried Nassauer: »Europa - Militärisch und sicherheitspolitisch auch in absehbarer Zukunft keine Macht? Die ehrgeizigen Ambitionen der EU.«

Regina Hagen und Jürgen Scheffran über Europäische Weltraummilitarisierung.

Die SWR-Sendung »Saldo« zum Thema »Krieg der Sterne«.

Informationen zum europäischen Cruise Missile Taurus.

Englischsprachige Erklärung der Funktionsweise von GPS, die im wesentlichen auch für Galileo gilt.

Erklärung der Funktion von Marschflugkörpern (ebenfalls auf Englisch)

Ilka Schröder zu Militär & Krieg

Wolfgang Burger
Projekt Dark Eye
In Karlsruhe wird ein Mann vom Zug überfahren. Er ist gekleidet wie ein Obdachloser und Kriminaloberkommissar Petzold und sein Team ermitteln zunächst in diese Richtung. Bald stellt sich heraus, dass sich der Militärische Abschirmdienst für den Toten interessiert…
Eine kleine Softwarefirma hat einen wichtigen Auftrag zur satellitengestützten Verkehrsbeobachtung bekommen, der schief zu gehen droht, weil ein Mitarbeiter nach dem anderen unter merkwürdigen Umständen erkrankt oder
verunglückt. Der Entwickler schöpft langsam Verdacht, dass er in Wahrheit an der Entwicklung eines modernen Spionagesatelliten mitarbeitet. Der oft zwischen den einzelnen Handlungsebenen wechselnde Krimi ist interessant für alle, die für eine nähere Beschäftigung mit dem Thema erst mal einen schöngeistigen Einstieg brauchen.
Espresso Verlag, Berlin.
ISBN 3-88520-921-7

top

Pages in English

ilka.org sicher lesen? dann: https://www.ilka.org