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Denkpause 19 | 08.07.02
Abschottung an den EU-Außengrenzen
Grenzüberschreitungen zwischen Rechtspopulismus und Rot-Grün
Wo ist die Grenze zwischen europäischem Rechtspopulismus und der rot-grünen Bundesregierung Deutschlands? In der Ausländer-Raus-Politik fällt es schwer, Unterschiede zu finden. Immer besser sichtbar wird dagegen die Grenze zwischen der EU und dem Rest der Welt. Nach den Beschlüssen unter anderem des Europäischen Rates von Sevilla soll eine immer härtere Abschottung erfolgen.
Der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder unterstützte die Idee seines spanischen Kollegen Aznar, Staaten zu sanktionieren, die sich bei der Bekämpfung von flüchtenden Menschen nicht kooperativ verhalten. Die Gruppe der Abschottungs-Hardliner besteht neben Spanien aus den herkömmlich-rechtspopulistischen Regierungen von Italien, Dänemark und Österreich sowie den sozialdemokratischen Rechtspopulisten aus Deutschland und England. Gegen den Widerstand aus Schweden, Frankreich, Belgien und Luxemburg (die ihre nationalen Asylgesetze zum Teil ebenso verschärften) konnten diese sich aber nicht auf ganzer Linie durchsetzen. Sanktionen sind nur vage als letzte in Frage kommende Möglichkeit genannt, deren Vollzug in jedem Fall alle EU-Staaten zustimmen müssen. Frankreichs konservativer Innenminister Nicolas Sarkozy will keine negative Haltung gegenüber den Herkunftsstaaten einnehmen. »Man kann nicht die Botschaft verbreiten, dass die reichen Länder die Armen bestrafen« nahm er zu den Sanktionsplänen der deutschen Bundesregierung Stellung.
Menschenfreundlichkeit kann man den SanktionsgegnerInnen allerdings auch nicht bestätigen. De-facto sind Zuckerbrot und Peitsche beide gleich wirkungsvoll, es ist lediglich etwas stilvoller, andere Staaten nicht »bestrafen« zu wollen. Beschlossen worden ist eine in Diplomatenkreisen durchaus verständliche Botschaft. »Der Europäische Rat ist der Ansicht, dass die Beziehungen zu den Drittländern, die nicht zur Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der illegalen Einwanderung bereit sind, systematisch evaluiert werden müssen. Dieser Evaluierung wird im Rahmen der Beziehungen der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsstaaten zu den betreffenden Ländern in allen einschlägigen Bereichen Rechnung getragen. Eine unzureichende Zusammenarbeit seitens eines Landes könnte der Intensivierung der Beziehungen zwischen dem betreffenden Land und der Union abträglich sein.« Gerhard Schröder ist das nicht genug. Er kommentiert das Rats-Ergebnis im offensichtlichen Einverständnis des grünen Koalitionspartners: »Ich hätte mir mehr gewünscht, was Sanktionen angeht.« Bis Ende 2002 sollen die europäischen Grenztruppen gemeinsame Aktionen an den Außengrenzen gegen Illegale und FluchthelferInnen starten; die für Einwanderungsfragen zuständigen Beamten sollen in der gleichen Zeit ein Informationsnetz knüpfen. Ebenfalls noch in diesem Jahr soll die Dubliner Konvention über die Entgegennahme des Asylantrages (d.h. nur im ersten EU-Ankunftsstaat kann ein Asylantrag gestellt werden) als EU-Verordnung gebilligt und damit zum verbindlichen Gemeinschaftsrecht erklärt werden. Noch ein halbes Jahr bleibt dann Zeit für die Idee einer besseren Beamtenausbildung und die Anfertigung einer Studie über eine »gerechte Lastenverteilung« bei den Aufwendungen für die Grenzabschottung. Gemeinsame Standards für Asylverfahren sollen bis Ende 2003 in Kraft gesetzt werden.
In den einzelnen Mitgliedsstaaten werden unterdessen die Einwanderungsgesetze gleichzeitig weiter ökonomisiert und verschärft. In Deutschland helfen Beschlüsse des grünen Parteirates wie »uns geht es darum, Verschlechterungen gegenüber dem bestehenden Ausländerrecht zu vermeiden
« nicht wirklich gegen Verschlechterungen durch die selbst gestellte Bundesregierung. Mit der Green-Card hat Rot-Grün erreicht, dass MigrantInnen in Deutschland immer stärker unter dem Aspekt der Verwertbarkeit ihres Humankapitals beurteilt werden. Zusätzlich zum völkischen deutschen Rassismus wird damit der sozioökonomische legal verankert.
Mit dem neuen Zuwanderungsgesetz wird der Aufenthaltsstatus »Duldung« komplett gestrichen, stattdessen erhalten Kriegsflüchtlinge nur eine »Bescheinigung«. Über sie wurde ein totales Arbeitsverbot verhängt und sie können leichter abgeschoben werden. Unter das rassistische Asylbewerberleistungsgesetz (gekürzte Sozialhilfe, Gutscheine und Lebensmittelpakete statt Geld, Sammellager) fallen nun alle Kriegsflüchtlinge, humanitären Flüchtlinge und Flüchtlinge mit Bleiberecht auf Grund der Altfallregelung. Die Strafen bei Zuwiderhandlungen gegen die Residenzpflicht (Verbot, den zugewiesenen Landkreis zu verlassen) wurden drastisch verschärft. In Flüchtlingsberatungskreisen wird die Gesamtheit der Verschlechterungen durch das Zuwanderungsgesetz mit den Auswirkungen des sogenannten Asylkompromisses von 1993 verglichen.
In Dänemark, wo die Regierung von der parlamentarischen Unterstützung der ausländerfeindlichen dänischen Volkspartei abhängig ist, wurde ein mehrstufiger Plan verabschiedet, nach dem eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung erst nach sieben statt bisher drei Jahren vergeben wird. Während dieses Zeitraums werden keine Sozialleistungen mehr gezahlt. Arrangierte Hochzeiten sollen verhindert werden, wobei alle Hochzeiten zwischen DänInnen und Nicht-EU-AusländerInnen erstmal als arrangiert angesehen werden. Die gesamte Flüchtlingsdefinition wurde beschnitten.
Italien hat im April ein Gesetz zur Intensivierung von Abschiebungen geschaffen. Wessen Asylantrag abgelehnt wurde, sollte ab diesem Moment illegal und ausreisepflichtig sein, ohne irgendeinen Rechtsweg ausschöpfen zu können. Großbritannien will ebenfalls Abschiebungen ausdehnen. In einem Beschluss des Parlaments wurde der Regierung erlaubt, Kinder von Asylsuchenden von anderen Schulkindern zu trennen. In Österreich hat die rechtspopulistische Regierung schon im letzten Jahr ein Fingerabdrucksystem für Asylbewerber eingeführt. Jetzt plant Innenminister Ernst Strasser (ÖVP), über alle Asylanträge in zwei großen Asyl-Centern innerhalb von 72 Stunden entscheiden zu lassen.
Mit ihrer weiter verschärften Immigrationspolitik belohnt die Europäische Union (»Union der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts«) diejenigen Staaten, die ihre Staatsangehörigen einsperren. Reisefreiheit ist nicht Voraussetzung für gute Beziehungen, sondern Hindernis. Ein Staat wie die DDR, die mit Mauer, Stacheldrahtzaun und Minen ihre Grenzen gegen Ausreisewillige sicherte, wäre also der ideale EU-Beitrittskandidat. Gäbe es die DDR heute noch, würde sie wahrscheinlich mit zusätzlicher Entwicklungshilfe und Freihandelsabkommen für den Schießbefehl belohnt.
Die Flucht aus der DDR in die BRD war seinerzeit ebenfalls illegal. Statt Grenzabschottung und Verfolgung der SchleuserInnen wurden die oft als Wirtschaftsflüchtlinge anzusehenden Menschen aber erfreulicherweise mit Begrüßungsgeld und anderen Hilfen empfangen. Ihre ökonomische Situation im Herkunftsland war damals nicht annähernd so dramatisch wie die der heutigen Flüchtlinge, doch weil sie deutsches Blut in den Adern hatten und aus einem realsozialistischen Staat geflohen waren, konnten sie sich auf die warmherzige Aufnahme in der BRD verlassen. SchleuserInnen wurden damals FluchthelferInnen genannt, sie konnten erfolgreich vor westdeutschen Gerichten den vereinbarten SchleuserInnenlohn einklagen. Die DDR-Mauerschützen wurden nach dem Beitritt zur BRD ebenso selbstverständlich vor Gericht gestellt wie brandenburgische Taxifahrer, die in den 90er Jahren ausländisch aussehende Menschen ohne Kontrolle der Aufenthaltsberechtigung innerhalb Brandenburgs transportieren. Wenn flüchtende Menschen aber aus Angst vor BRD-Grenzsoldaten in Oder und Neiße ertrinken oder auf einer Verfolgungsjagd beim Zusammenstoß mit einem Baum getötet werden, kommen die GrenzschützerInnen ungeschoren davon.
Als Konsequenz aus den Erfahrungen mit der Flucht aus der DDR sollten diejenigen Drittstaaten, die ihren Staatsangehörigen eine selbstbestimmte Lebensgestaltung mit dem Recht auf freie Bewegung weltweit ermöglichen, gefördert werden - statt sanktioniert. Die finanzielle Unterstützung der SchleuserInnen aus EU-Mitteln könnte den Gedanken eines »Raums der Freiheit« glaubhafter vermitteln als die Abschottung der Union. Neben der Möglichkeit für jede und jeden, dort zu leben, wo er oder sie will (was sich Deutsche, die sich in der Toskana oder auf Mallorca niederlassen, selbst genehmigen) hätte eine Förderung von SchleuserInnenbanden und Schleuserstaaten noch den weiteren Vorteil, dass das Asylrecht in der EU wieder in Anspruch genommen werden könnte.
Sogar in einer vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) in Auftrag gegebenen Studie wurde festgestellt, dass dies im Moment auf legale Weise kaum möglich ist. Der britische Sozialwissenschaftler John Morrison kommt dort zu dem Ergebnis, »dass in der Praxis die auf Grenzbefestigung und den Kampf gegen Menschenschmuggel zielende Politik in Europa das Asylgrundrecht in einem Ausmaß unterhöhlt hat, das es nicht mehr als berechtigt erscheinen lässt, von einem Fortbestand dieses Grundprinzips der Menschenrechte auszugehen«. Die UNHCR-Studie wurde bereits vor zwei Jahren vorgelegt, heute ist die Situation für Einreisewillige noch dramatischer. Ohne SchleuserInnen ist ein Einreiseversuch in die EU wenig aussichtsreich. Die FluchthelferInnen müssen wegen der erhöhten Abschottungsmaßnahmen ihre Preise erhöhen und den Reisekomfort reduzieren oder sie können ihre bisherigen Gewinne nicht mehr realisieren.
Abscheulich ist neben den wachsenden Problemen für MigrantInnen an den Grenzen auch die von der europäischen Sozialdemokratie vorangetriebene rassistische Stimmungsmache. Bereits vor den guten Wahlergebnissen von Rechtsextremen in mehreren EU-Staaten definierten die Sozialdemokraten im finnischen Tampere die EU-Einwanderungspolitik als vorrangig zu bearbeitendes Problemfeld. Die auf ausländerfeindlichen Kampagnen der politischen Mitte stets folgenden rechten Wahlerfolge werden nun als Grund für noch mehr sozialdemokratische Abschottungspolitik und Überfremdungsrhetorik angesehen. In einer Aufwärtsspirale werden darauf sicherlich noch mehr Prozente für RechtspopulistInnen folgen. Dass dieses für die MigrantInnen in Deutschland ein besonderes Problem darstellt, kann allerdings nicht angenommen werden, da ja auch die neue deutsche rot-grüne Mitte bereits rechtspopulistische Migrationspolitik betreibt. MigrantInnen erleiden durch die Stimmungsmache aber die abgestuften Reaktionen der sogenannten Zivilgesellschaft, deren Bandbreite von der einfachen Ausgrenzung und Diskriminierung bis hin zu tödlichen Anschlägen reicht.
Selbst in den Maßstäben der deutschen Bundesregierung (Ausländer, deren Humankapital nicht gebraucht wird, raus) gäbe es andere Möglichkeiten, den Rechtspopulisten Wind aus den Segeln zu nehmen: Von den innerhalb der EU lebenden Menschen kommen nur 3,4 Prozent aus Nicht-EU-Staaten. Die Zahl der in Deutschland genehmigten Asylanträge fiel von 438.000 im Jahr 1992 auf nur noch 78.500 im Jahr 2000. Wenn solche Tatsachen weiterhin verschwiegen werden, aber vor Flüchtlingsmassen gewarnt wird, dann liegt der Verdacht nahe, dass Rot-Grün nicht nur aus falscher Hoffnung auf Wählerstimmen vom rechten Rand, sondern aus eigener Überzeugung heraus einen ausländerfeindlichen Wahlkampf macht.
UNHCR
http://www.unhcr.de
Spanische EU-Ratspräsidentschaft
(mit Abschlussdokumenten)
http://www.ue2002.es
Europäischer Flüchtlingsrat
http://www.ecre.org
Pro Asyl
http://www.proasyl.de
Ilka Schröder zu Festung Europa
http://www.ilka.org/themen/fe.html
No Border Camp
Strasbourg
19.-28.07.2002
http://www.noborder.org/item_upcoming.php?id=122
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