ilka.org-Logo (Link auf Startseite)
Ilka Schröder

Startseite>Denkpause>

Denkpause 19 | 08.07.02

Europa im Container

Speicherung elektronischer Kommunikationsdaten in der EU

Der Ausbau der EU zu einem Raum der unbegrenzten Überwachung schreitet voran. Nachdem das Europäische Parlament die Speicherung von Verbindungsdaten grundsätzlich befürwortet hat, plant der Rat schon den nächsten Schritt: Schon bald soll es in der Union nicht mehr gestattet sein, über Entfernungen zu kommunizieren, ohne sich dabei in die Fahndungsdateien der Polizeibehörden einzuschreiben.

Manchmal kommt es noch schlimmer, als mensch ohnehin schon denkt: Mit einer knappen Abstimmung des EU-Parlaments zur Datenspeicherung war zu rechnen. Aber dass sich letztlich nur 113 Abgeordnete finden würden, die gegen eine neue Qualität des Überwachungsstaats und für den Schutz der Privatsphäre stimmen würden, war kaum vorauszusehen. In der ersten Lesung der EU-Richtlinie zum »Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation« hatte sich vor einem halben Jahr noch das gesamte Haus einstimmig für ein Verbot der Flächen deckenden Speicherung von Verkehrsdaten ausgesprochen.
Am 25. Juni hat der Rat der UmweltministerInnen – Sie lesen richtig, der UmweltministerInnen – dem Parlamentsbeschluss ohne weitere Änderungen zugestimmt. Das war nicht weiter überraschend, denn der Beschluss war nur durch intensives Lobbying des spanischen Ratsvorsitzes vor allem bei Konservativen und SozialdemokratInnen zustande gekommen. Während der ersten Augusthälfte soll die Richtlinie im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht werden. Dann wird es in Europa keine Datenschutzvorschrift mehr geben, die die Staaten daran hindert, bis auf den Inhalt im engeren Sinn jedes Detail jeder elektronischen Kommunikation aller Personen, die sich in der EU aufhalten, jahrelang zu speichern. Diese Totalüberwachung soll ohne jeden Verdacht stattfinden, nur für den Fall, dass Geheimdienste und Polizei irgendwann einmal etwas davon brauchen könnten.
Von der EU wird dies als Notwendigkeit im Kampf gegen den Terrorismus und als Konsequenz aus den Anschlägen vom 11. September vergangenen Jahres verkauft. Doch in Wahrheit sind solche Planungen in der EU mindestens acht Jahre alt. Schon im Januar 1995 nahm der Rat »auf Anregung« des US-Inlandsgeheimdienstes FBI ein Geheimpapier an, in dem »Anforderungen der Strafverfolgungsbehörden« an die BetreiberInnen von Telekommunikationsnetzen formuliert wurden. Angehängt an dieses Dokument war bereits eine mehrseitige Liste von Kommunikationsdetails, die gespeichert werden sollten, damit sie den Behörden auf Anforderung zur Verfügung gestellt werden könnten. Die Liste reichte von der Telefonnummer bzw. IP-Adresse aller KommunikationsteilnehmerInnen bis zu deren »genauest möglicher Lokalisierung«.
Seitdem hat der Rat mehrere Versuche unternommen, dieser Liste in jeweils leicht veränderter Form Gesetzescharakter zu verleihen. Zuletzt ist er damit im Mai 2001 gescheitert, doch Enfopol, die Polizei-Arbeitsgruppe des Rates, arbeitet immer neue Entwürfe aus. Die Liste der zu speichernden Daten wurde dabei immer länger.
Ein im EU-Parlament abgestimmter Änderungsantrag zu der erwähnten Datenschutz-Richtlinie drohte den Überwachungsplänen ein Ende zu bereiten; doch nach den Attentaten in den USA beschloss der Rat, einen weiteren Versuch zu unternehmen. Man lehnte den vom Parlament beschlossenen Text ab und zwang das Parlament so, sich in zweiter Lesung mit dem Text zu beschäftigen. Auf dem Ticket des »Kriegs gegen den Terror« sollte es doch möglich sein, diejenigen, die das Recht auf Privatsphäre verteidigten, als Feinde der Freiheit hinzustellen. Gleichzeitig belohnt man Staaten, die den Terrorismus fördern mit neuen EU-Assoziierungsabkommen (siehe Kurzmeldung in dieser Denkpause).
Am 10. April tagte in Den Haag auf Einladung der EU-Polizeibehörde Europol eine Expertenrunde, die sich mit dem Thema Verkehrsdaten-Speicherung beschäftigte. Auch sie produzierte eine Liste derjenigen Daten, die den Polizeibehörden auf Anfrage von den Telefon- und Internet-Betreibern zu übermitteln seien. Mittlerweile war die Liste auf neun Seiten angewachsen und enthielt beispielsweise Name, Geburtsdatum und volle Adresse der KommunikationsteilnehmerInnen, Kreditkartennummern, Passwörter und Eingaben in Suchmaschinen. Nur durch eine Indiskretion wurden das Treffen und die Liste bekannt.

Noch konspirativer arbeitet eine Arbeitsgruppe beim Rat, die auf Initiative Belgiens und Großbritanniens eine Direktive entwirft, mit der die Verkehrsdaten-Speicherung EU-weit zwingend vorgeschrieben werden soll. Voraussichtlich im nächsten Jahr soll die Richtlinie durch die Institutionen gepeitscht werden, mit der der Privatsphäre im Internet und am Telefon endgültig der Garaus gemacht werden soll. Auch auf anderer Ebene waren die ÜberwachungsfanatikerInnen nicht faul. Beim Treffen der G8-Justiz- und InnenministerInnen im kanadischen Mont Tremblant beschlossen die Gesandten der reichsten Industriestaaten Mitte Mai eine Liste, die manchen der am Tisch versammelten Damen und Herren bekannt vorgekommen sein dürfte: Bis auf einzelne Formulierungen glich sie der Liste, die einen Monat vorher die Den Haager Europol-ExpertInnenrunde besprochen hatte. In der G8-Runde ist mit den EU-Staaten Großbritannien, Frankreich, Italien und Deutschland die Elite der europäischen Schnüffler vertreten.
In Deutschland etwa steht das »Gesetz zur Verbesserung der Ermittlungsmaßnahmen wegen des Verdachts sexuellen Missbrauchs von Kindern und der Vollstreckung freiheitsentziehender Sanktionen« zur Verabschiedung im Bundestag an. Anders als der Titel glauben machen will, betrifft das im Bundesrat vom SPD-regierten Niedersachsen eingebrachte Gesetz längst nicht nur echte oder vermeintliche KinderschänderInnen, sondern jede und jeden, der oder die in Deutschland lebt und kommuniziert. Das Gesetz kennt keinerlei Beschränkungen, welche Daten gespeichert werden sollen und wann sie zu löschen sind: Das darf der Bundeskanzler per Rechtsverordnung bestimmen. Dass Gesetzesverschärfungen mit dem Argument des Kindsmissbrauchs begründet werden, ist ein übliches Verfahren; in der Regel werden die so durchgesetzten Änderungen nach kurzer Zeit auf weitere Tatbestände ausgeweitet.

Das Beispiel Großbritannien zeigt, auf welche Weise eine solche Ausweitung vorgenommen wird: Unter dem »Regulation of Investigatory Powers Act« (RIPA) werden dort seit Herbst 2000 Gesprächsdaten gespeichert. Zugriffsberechtigt sind bis jetzt Polizei und Geheimdienste, sie können UserInnen sogar zwingen, Kryptographie-Schlüssel herauszugeben. Vor wenigen Wochen unternahm die Regierung nun den Versuch, per Verordnung, ohne Abstimmung im Parlament, die RIPA-Vollmachten auf eine Vielzahl weiterer Dienststellen auszuweiten, etwa auf Gesundheitsämter und andere lokale Behörden. Insgesamt sollten über 1.000 staatliche Dienststellen RIPA-Anfragen stellen dürfen. Dabei klagen Provider und Telekom-AnbieterInnen auf der Insel schon jetzt, der RIPA werde von der Polizei missbraucht, um »Fischzüge« zu veranstalten, die zu massenhaften Anfragen führten. Vorläufig ist die RIPA-Verschärfung an der Drohung des Oberhauses gescheitert, die Maßnahme umgehend wieder rückgängig zu machen. Innenminister Blunkett leistete Abbitte; vom Tisch ist der Plan damit allerdings noch nicht, und bis jetzt hat sich gerade in Großbritannien die mächtige Polizei-Lobby noch immer mit ihren Wünschen durchgesetzt.
Dasselbe lässt sich von Frankreich sagen, wo seit November vergangenen Jahres unter der »Loi sur la sécurité quotidienne« (LSQ, »Gesetz über die alltägliche Sicherheit«) Kommunikationsdaten bis zu einem Jahr gespeichert werden. Das Gesetz stellte wie der RIP-Act zum Zeitpunkt seiner Verabschiedung einen klaren Verstoß gegen die EU-Datenschutzrichtlinien 95/46/EG und 97/66/EG dar; doch die staatlichen ÜberwachungsbefürworterInnen verließen sich in beiden Fällen darauf, dass es ihnen schon gelingen werde, die EU-Gesetzgebung zu ändern, bevor irgendeine Klage erfolgreich sein würde. Damit haben sie nun offenbar Recht behalten.
Einen anderen Weg, der nicht im Widerspruch zur geltenden EU-Gesetzgebung steht, wählten einige andere EU-Staaten, etwa Italien. Dort werden Verkehrsdaten fünf Jahre lang gespeichert - angeblich zu Abrechnungszwecken. Erst nach dieser Zeit, so argumentieren die italienischen Behörden, sei eine Rechnung nicht mehr anfechtbar. Und ob es den italienischen UserInnen wichtiger ist, nach fünf Jahren noch eine Telefonrechnung anfechten zu können oder einigermaßen frei zu sein von Überwachung, ist egal - als potenziell Verdächtige werden sie wie der Rest der EU-BürgerInnen einfach nicht gefragt.


Ilka Schröder zu Privacy im Internet
http://www.ilka.org/themen/infotech.html

Vorläufige inoffizielle Version der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verarbeitung personenbezogener Daten und dem Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation; nach der Abstimmung im Europäischen Parlament am 30. Mai. Die Bestimmungen zur Datenspeicherung finden sich in Artikel 15.1.
http://www.gilc.org/as_voted_2nd_read.html

»Prinzipien zur Verfügbarkeit von Daten, die zum Schutz der Öffentlichen Sicherheit notwendig sind«: Dokument der G8-Versammlung am 13. und 14. Mai in Kanada.
http://www.g8j-i.ca/english/doc3.html

Protokoll des Europol-»Expertentreffens zu Cyber-Kriminalität: Datenspeicherung« am 11.April
(PDF, 110 kB).
www.statewatch.org/news/2002/may/europol.pdf

»Anforderungen« der Strafverfolgungsbehörden an Telekommunikationsbetreiber, Ratsbeschluss vom 17. Januar 1995.
www.statewatch.org/eufbi/eufbireq.htm

top

Pages in English

ilka.org sicher lesen? dann: https://www.ilka.org