ilka.org-Logo (Link auf Startseite)
Ilka Schröder

Startseite>Denkpause>

Denkpause 20 | 30.11.02

Eindämmen, abgrenzen, wegschieben

»Ausländer raus«-Initiativen der EU-Kommission

Die Europäische Union vereinheitlicht die Innen- und Justizpolitik. Ziel der Übung ist es, die Chancen auf Asyl in Europa weiter einzuschränken. Bereits in den Herkunftsregionen sollen die Wanderungsströme eingedämmt werden, die EU-Außengrenzen werden weiter ausgebaut. Wenn das alles nichts hilft, dann wird abgeschoben, was das Zeug hält.

»Gemeinschaftspolitik zur Rückkehr illegal aufhältiger Personen« der Titel des Grünbuchs der Europäischen Kommission, mit dem sie im April die Richtlinien ihrer Politik formulierte, sagt bereits einiges aus über die Politikvorstellung der Urheber zum Thema Justiz und Inneres. Das Grünbuch ist eine Art Zwischenbericht der Kommission, in dem sie den bisherigen Prozess begutachtet und überlegt, wie sie Migranten weiter behindern und Asyl unmöglich machen kann.
Im Oktober 2002 legten die Verfasser dem Grünbuch ungewöhnlich schnell ein so genanntes Weißbuch nach. Dabei basiert diese offizielle Mitteilung an den Rat und das Europaparlament auf den Ergebnissen des informellen Innenministertreffens in Kopenhagen im September 2002.
Bereits das Inhaltsverzeichnis erweckt den Eindruck, eher das Programm der NPD vor sich zu haben, als ein Politikkonzept der EU. Einige beispielhafte Kapitel des Weißbuchs heißen dementsprechend »Konzentration auf die Rückkehr illegal aufhältiger Personen, Zusammenarbeit mit den Herkunfts- und Transitländern im Bereich Rückkehr und Rückübernahme, Bewährte Praktiken, Regeln für die Rückübernahme, Gemeinsame Rückführungsmaßnahmen, Abschiebung« oder auch »Beendigung des legalen Aufenthaltes«.
Da es noch keine legale Basis für eine EU-weite Zusammenarbeit auf der operationellen Ebene gibt, also da es bisher keine von der EU verwalteten Abschiebeknäste oder Asylanerkennungsbehörden existieren, sollen mittelfristig gemeinsame Standards beschlossen werden. So wird gewährleistet, dass dann letztlich alle EU-Staaten auf nationaler Ebene die gleichen Schweinerein veranstalten.


Abschüblinge in Baden-Württemberg
kooperieren schlecht

Aufgrund der nationalen Erfahrungen sollen Elemente einer integrierten Abschiebepolitik herausgearbeitet werden. Gute Ideen für ihre menschenfeindlichen Absichten bekommt die Kommission fast von überall. Roland Eckert, seines Zeichens Ministerialdirigent im baden-württembergischen Innenministerium, hält es beispielsweise für eine Unverschämtheit der Ausländer, wie wenig sie bei ihrer Abschiebung in Hunger, Verfolgung, Folter und Krieg behilflich sind.
Im Amtsdeutsch klingt der Zorn des Bürokraten dann folgendermaßen: »Aus den Erfahrungen der letzten Jahre beim Vollzug des Ausländerrechts durch die Ausländerbehörden des Landes Baden-Württemberg weiß ich, welche Schwierigkeiten bestehen, Ausländer gegen ihren Willen in ihre Heimat abzuschieben. Von der mangelnden Mitwirkungsbereitschaft bei der Beschaffung eines Heimreisedokuments über das Vortäuschen von gesundheitlichen Beeinträchtigungen bis hin zu renitentem Verhalten am Tag der Abschiebung müssen vielfältige Schwierigkeiten bewältigt werden. Dabei zeigt die Erfahrung, dass viele Ausländer bereit sind, alle sich bietenden Möglichkeiten zur Verlängerung ihres Aufenthaltes auch über die Grenze des Missbrauchs der Gesetze hinaus auszuschöpfen. Ich schlage vor, dies bei den weiteren Überlegungen der Kommission stärker zu berücksichtigen, um unnötige Anreize für solches Verhalten zu vermeiden, Sanktionen sollten für entsprechendes Verhalten vorgesehen werden.«
Dementsprechend will die EU-Kommission mit den Herkunfts- und Transitländern der Flüchtlinge stärker zusammenarbeiten, sowohl auf administrativer, als auch auf operationaler Ebene, um die Abschiebepolitik so effektiver zu gestalten. Deshalb sind umfangreiche »Rückübernahmeabkommen« mit den Hauptursprungsländern der Migration nach Europa wie Pakistan, Sri Lanka, Marokko oder Macau geplant. Während die Rückübernahme von Flüchtlingen früher in Wirtschaftsabkommen vereinbart wurde, werden heute eigene Abschiebeabkommen verhandelt.


Go home nach Hongkong

Anders ausgedrückt: Wurden früher die Länder mit Wirtschafts- und Entwicklungshilfe erpresst, der EU zu Willen zu sein, mag die EU heute eine solche Verbindung gar nicht mehr herstellen. Die Gefügigkeit gegenüber der EU wird vorausgesetzt, sie muss nicht mehr – wenn auch für ein paar Brosamen – erkauft werden. Dazu passt, dass in alle zukünftigen Assoziations- und Kooperationsabkommen Standardklauseln zur Rückübernahme eingefügt werden. Wer mit der EU zusammenarbeiten will, der hat mit seinen Bürgern so zu verfahren, wie es die EU will. Die Kriterien, nach denen die Staaten ausgewählt wurden, lauten folgerichtig »Wanderungsdruck auf die EU«, »regionale Kohärenz« und »geographische Nähe«, denn natürlich will die EU möglichst viele »illegal Aufhältige« mit einer Klappe schlagen.
Ein Pilotabschluss mit Hongkong passiert Anfang Dezember das Europäische Parlament und tritt dann bald in Kraft. Die Besitzer eines Hongkonger Reisepasses erhalten eine dreimonatige Visumsfreiheit in der EU, im Gegenzug verpflichten sich beide Vertragsparteien, Abschiebefragen beschleunigt zu bearbeiten. Auch Personen aus anderen Staaten, die Hongkong nur als Transitland durchquert haben, können dorthin »zurückgeführt« werden. Lästige Staatsbürgerschaftsnachweise, die bisher teilweise Abschiebungen verhindert haben, bleiben den Behörden dabei künftig erspart. Die Beweisführung, wonach Personen über Hongkong eingereist sind, wird vereinfacht.
Denn: Nicht nur offizielle Dokumente wie Visumseinträge im Pass erlauben künftig die Abschiebung, schon Hotelrechnungen, Arzttermine in Hongkong oder Passagierlisten reichen nunmehr aus. Weil Ärzte, Hotels und Fluggesellschaften aber die Namen ihrer Kunden nicht überprüfen, können solche Belege gefälscht werden. Das ist aber nicht wirklich nötig, weil auch »Prima Facie Evidence«, also Beweise des ersten Augenscheins wie »offizielle Aussagen« der Grenzbehörden, abgehörte Aussagen der Person selbst, Informationen einer »internationalen Organisation« und auch Informationen von Mitreisenden ausreichen, um jemanden nach Hongkong abzuschieben.
Die Wünsche des Ministerialdirigenten aus Baden-Württemberg wurden also erhört.


Grünbuch »Gemeinschaftspolitik zur Rückkehr illegal aufhältiger Personen«
http://www.europa.eu.int/eur-lex/de/com/gpr/2002/com2002_0175de01.pdf

Weißbuch »Gemeinschaftspolitik zur Rückkehr illegal aufhältiger Personen«
http://www.europa.eu.int/eur-lex/de/com/pdf/2002/com2002_0564de01.pdf

Nicholas Busch: Ein »Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts«?, 2001, www.pds-europa.de/materialien/asyl-migra.pdf

Ilka Schröder zum Thema »Festung Europa«
http://www.ilka.org/ themen/fe.html

Pages in English

ilka.org sicher lesen? dann: https://www.ilka.org