Denkpause 21 | 08.07.03
Imperialistische Konkurrenz im AllEuropas neue Kompetenzen gegen die USA Europa rüstet auf. Um den USA militärisch etwas entgegensetzen zu können, haben sich die Europäer auf ein gemeinsames Satellitennavigationssystem geeinigt. Dabei galt das Projekt noch vor einem halben Jahr als rein zivile Angelegenheit - die militärische Bedeutung von Galileo war unserer weitsichtigen Analyse (Denkpause 12, 18) vorbehalten. Heute, nach dem offenen imperialistischen Coming-Out der EU im Zuge des Irak-Krieges, wird diese nur noch von Sonntagsrednern geleugnet. Ein neues, das "wohl ehrgeizigste Technologieprojekt Europas" (Welt), das Satellitennavigationssystem Galileo, ist nach Jahren zäher Verhandlungen in diesen Tagen in die Startphase eingetreten. Damit ist ein wichtiger Grundstein der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der EU und seiner militärischen Umsetzung gelegt. Bei den Verhandlungen um Galileo hat es Deutschland einmal mehr geschafft, seine Führungsposition im erstarkenden Europa zu festigen. Der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder etwa triumphiert bereits jetzt angesichts der gewonnenen Handlungsfähigkeit: denn trotz aller europäischer Einigkeit von Wertegemeinschaft bis alt-europäischer Philosophenoffensive ist und bleibt das Interesse der teilnehmenden Nationalstaaten an der EU die Möglichkeit der Durchsetzung nationaler Interessen. Er kann sich besonders freuen über die Möglichkeiten, die der deutsch-dominierten EU mit Galileo offen stehen: Wer möchte heute schon Kriege führen, ohne die bewaffneten Landsmänner und -frauen satellitennavigiert und damit auf Meter genau führen zu können? Zumal gegen die Armee einer Konkurrenzmacht, die ausgestattet ist mit dem aus Film, Funk und Fernsehen bekannt gewordenen GPS, dessen Besitzer das US-Verteidigungsministerium ist? Die neue Einigkeit darüber, dass die europäischen Nationalstaaten eine von den USA unabhängige Satellitennavigation schaffen müssen, kristallisierte sich bereits im Jugoslawien-Krieg heraus. Es war eine bittere Pille, die die Deutschen als Initiatoren und Projektleiter des Jugoslawienfeldzuges zu schlucken hatten, als die USA ihr GPS-System während des Krieges kurzerhand für sie unzugänglich machten. Diese Möglichkeit besteht für die USA in Zukunft nicht mehr. Denn die Frequenzen, auf denen die beiden Navigationssysteme arbeiten werden, liegen nah beieinander. Damit stehen die USA mit der Inbetriebnahme von Galileo vor zwei schlechten Alternativen: Sie können das Signal der Europäer funktechnisch stören und aufgrund der Frequenznähe damit notwendig auch ihr eigenes. Oder sie lassen die Europäer mit ihren technologischen Fähigkeiten gewähren. Das wird spätestens dann ein Problem, wenn Amis und Euros in Kooperation ein Land platt machen wollen wobei eine solche Kooperation eben nicht die ständige Konkurrenzsituation aufhebt oder einen Stellvertreterkrieg gegeneinander führen. Die Bedeutung dieses militär-immanenten Dilemmas wird erst deutlich, wenn man sich die steigende Abhängigkeit aller künftigen Waffensysteme von der Unterstützung aus dem All deutlich macht. Bereits im jetzigen Golfkrieg wurden 80% der US-amerikanischen und britischen Bomben satellitennavigiert ins Ziel gelenkt.
Galileo ist ebenso wie die Planungen in Sachen Kerneuropaarmee logische Konsequenz einer forcierten Erkenntnis der Europäer, die neben der voranschreitenden Islamisierung des Irak vielleicht als das wirklich negative Ergebnis des US-Kriegs gegen Saddam Hussein bezeichnet werden kann. Dabei ist es nur ein scheinbarer Widerspruch, dass Galileo ein gesamteuropäisches, Old Europes Elitetruppe nur ein teileuropäisches Projekt ist. Die europäischen Irakkriegsteilnehmer - vielleicht bis auf Großbritannien - machten nur deshalb gemeinsame Sache mit den USA, weil diese Kalkulation in der aktuellen Situation mehr Erfolg versprach. Darin steckt aber auch die Erkenntnis, dass man mit der EU weltpolitisch noch nicht unabhängig agieren kann - und dass soll sich nach Ansicht aller europäischen Staaten sobald wie möglich ändern. Der Grund dafür, dass sich die europäischen Staaten bei dem Projekt der gemeinsamen Rüstungsproduktion bisher so schwer taten, erklärt sich aus dem spezifischen Charakter des Industriezweigs: Er ist zwar privatkapitalistisch organisiert, dennoch der rein betriebswirtschaftlichen Kalkulation entzogen. Schließlich werden erstens Güter produziert, über die der jeweilige Staat gerne die Kontrolle behält und zweitens sind die notwendigen Investitionen besonders im Anfangsstadium so immens, dass nur die staatliche Übernahme dieser Kosten Einzelkapitalisten für diesen Sektor begeistert. Eine staatliche Bereitschaft, eben diese Kosten als Mittel zum Zweck, dem Bestehen in der Staatenkonkurrenz zu akzeptieren, ist nicht neu. Neu ist die Einstimmigkeit, in der die nationalstaatlichen Akteure dieses Interesse formulieren. Zumal deren Politik bis vor kurzem zumindest auch darauf ausgerichtet war, Bewaffnung gegeneinander in petto zu haben. Dabei hatten die einzelnen EU-Mitglieder weniger einen Krieg innerhalb des europäischen Staatenverbundes vor Augen. Vielmehr wollte jeder einzelne Staat die Basis erhalten oder entwickeln, mittels einer so autonom wie möglich organisierten Rüstungsindustrie einen eigenen militärischen Einsatz durchführen zu können, und sich damit definitiv von keinem anderen Akteur das eigene Interesse durchkreuzen zu lassen. Diese Praxis der nationalstaatlich organisierten Rüstungspolitik gehört innerhalb der EU nun der Vergangenheit an. Von dieser in der Tat neuen Qualität des europäischen und somit oft genug deutschen Imperialismus wollen die europäischen Antiimperialisten globalisierungskritischer und traditionalistischer Couleur um den Preis der eigenen Vernunft nichts wissen. Den zähnefletschenden Rüstungsmilitarismus immer nur und immer wieder in den USA und in Israel zu entdecken, macht sie blind und der europäischen Herrschaft damit sehr sympathisch. Die beim Atomwaffenbau zumindest noch bemühte Legitimierung per ziviler Nutzung, die jedem, der nur annähernd eine Kosten-Nutzenrechnung beherrscht, als Treppenwitz erscheinen musste, wird im Fall Satellitennavigation zur Farce. Über drei Milliarden Euro Investitionskosten zum Aufbau von Galileo, von denen das Kapital nicht einmal die Hälfte übernehmen will, stehen einem fix und fertigen GPS-System gegenüber, dass alle privaten Nutzungsmöglichkeiten kostenlos anbietet und genauso zur logistischen Steuerung von Wirtschaftsgütern geeignet ist - so kommen die lautesten Schreie nach Galileo auch nicht von Speditionsunternehmen. Auch die Versicherung eines Vertreters der Europäischen Kommission an die Mitglieder des Europäischen Parlaments, Galileo laufe vollkommen ohne militärische Signale und sei vielmehr gedacht zur Einsetzung in der Seenotrettung, ist nur noch als drittklassige Notlüge eines Redenschreibers zu bezeichnen. Die Wahrheit, die auch bei der bittersten Ironie doch immer existieren muss, um in ihrer Verfremdung den Witz zu provozieren, wird an anderer Stelle ausgesprochen: "Es geht dabei um Macht und militärische Strategie." Dies sagt ganz offen der Chef eines der am Galileo-Konsortium entscheidend beteiligten Unternehmen, Wolfgang Brunn, Vorstandsvorsitzender von MAN Technologie. Und es ist durchaus kein Zufall, dass dieses Unternehmen ein deutsches und das zufriedenste Grinsen über den Abschluss der Verhandlungen ebenfalls ein deutsches ist. Auch der deutsche Verkehrsminister Stolpe zeigte sich schon früher begeistert von seinem eigenen Erfolg: "Mit dieser Lösung können Deutschlands industrielle Kernkompetenzen bei der künftigen Schlüsseltechnologie gesichert werden". Das neugeschaffene Unternehmen wird, nach langem Kampf um den Standort, in Bayern angesiedelt, der Chefposten wird von einem Deutschen besetzt. Der Leiter der deutschen Raumfahrtbehörde, Rainer Hertrich, ist ebenfalls zufrieden, denn seine Forderung, "eingebunden in eine europäische Raumfahrtstrategie deutsche Interessen im globalen Rahmen einzubringen und durchzusetzen" ist aufgegangen: Am Ende hat das deutsche Interesse einmal mehr seine Konkurrenten gezwungen, sich seinen Bedingungen anzupassen. Das klappt, weil ihnen im Zweifelsfall die Juniorrolle im deutschen Europa genehmer ist als überhaupt keine. Die Einsicht in die Notwendigkeit, die innereuropäische Konkurrenz im gemeinsamen Interesse abzumelden, da man andernfalls die Konkurrenznachteile gegenüber der US-Army unmöglich aufholen können wird, hat sich durchgesetzt. Zuerst begriffen haben das die Berufstransnationalisten, die europäischen Bürokraten von Kommission und Parlament und der Staat, der aufgrund seiner politischen und ökonomischen Stellung als Berufsprofiteur der europäischen Integration bezeichnet werden kann: Deutschland.
Europäische Kommission präsentiert
GPS Galileo Trotz der im Verhältnis zu Galileo künftig schlechteren Ausstattung GPS kann auf 10 Meter genau eingesetzt werden, Galileo sogar auf 4 ist die Armee der Vereinigten Staaten schon jetzt von Satellitennavigation sehr abhängig. Und es ist absehbar, dass außer Kleinwaffen in den nächsten 20-30 Jahren kein Waffensystem mehr ohne Satellitentechnologie einsatzfähig sein wird egal wem es gehört. |
Pages in English
ilka.org sicher lesen? dann: https://www.ilka.org |