Denkpause 21 | 08.07.03
Weltmacht - vorerst nur im Wartestand"Europa als Macht Europa als Raum" Auch wenn alle über eine Krise der "Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik" (GASP) reden, geht die Formierung der EU zur Weltmacht munter voran. Allerdings mit allen Schwierigkeiten, die ein Staatenbund von konkurrierenden Nationalstaaten so hat. Die Opposition gegen die anti-amerikanische Friedensallianz sollte vor allem eines klarstellen: Dass die Politik der EU nicht allein in Berlin und Paris gemacht wird. Großbritannien, Spanien, Italien, Portugal, die Niederlande und Dänemark glaubten, es sich leisten zu können, diesen Warnschuss abzugeben. Sie hielten ihn aber auch für nötig; und das macht gleichzeitig die wachsende Bedeutung Kerneuropas klar. Beim Aufbegehren von new europe geht es, wie bei der ganzen Diplomatie, um die Klarstellung von Macht, Recht und Anspruch der jeweiligen nationalen Souveräne. Geschäftsgrundlage der Europäischen Union ist, dass verschiedene Nationalstaaten ein gemeinsames Bündnis miteinander institutionalisiert haben, um ihren nationalen Interessen zu dienen, und gemeinsam den USA Paroli zu bieten. Nur: Deswegen geben sie weder die Konkurrenz miteinander auf, noch macht dies temporäre Bündnisse mit den USA gegen die lieben europäischen Verbündeten unmöglich. Die Krise der GASP besteht darin, dass zwar viel Außen- und Sicherheitspolitik stattfindet, sie aber gar nicht gemeinsam genug ist, um wirklich wichtig zu sein. Der Kampf wie man in Zukunft "mit einer Stimme" sprechen könnte, wird durch zwei Dinge verschärft. Erstens haben die Heimatländer von Coq au vin und Sauerkraut keine Lust auf den antiamerikanischen Text zu verzichten. Aber auch die Entstehungsländer von Pizza & Paella bestehen darauf, dass Text und Melodie zu ihren nationalen Erwägungen passen. Das ganz abstrakte Interesse daran, dass Europa stark sein soll, haben eigentlich nur die Eurokraten im Raumschiff Brüssel. Zweitens aber teilt das Vereinigte Königreich dieses Interesse gar nicht. Im Gegensatz zum Rest der Aufmüpfigen, geht es Großbritannien nicht nur um Mitbestimmung in der europäischen Politik, sondern darum, die Konkurrenz zwischen EU und USA auszunutzen, um eine eigenständige Rolle zu spielen. Man braucht die EU als potentielle Weltmacht um Großbritannien die nötige Macht zu verleihen; wie viel richtige Weltmacht die EU dafür noch werden muss, darüber streitet die Labour-Party gerade.1 Alle anderen Kontrahenten der plötzlich ausgebrochenen europäischen Friedensliebe sind auf das Zusammenwirken mit dem Rest von old europe viel zu angewiesen, als dass ihnen diese Option zu Gebote stände. Großmächte erkennt man daran, dass ihre Außenpolitik sich nicht durch Regierungswechsel ändert, sondern durch Verschiebungen der internationalen Kräfteverhältnisse. In den USA, Großbritannien, und Frankreich steht die Außenpolitik nur in ihren Nuancen zur Debatte. Das gilt auch für Deutschland.2 In anderen Ländern, wie z.B. Spanien, Portugal und Italien müssen die Regierungen fürchten, dass ihr new-europe-Kurs bei den nächsten Wahlen von den Sozialdemokraten grundsätzlich revidiert wird. Das Aufmucken der weltpolitisch bedeutungslosen osteuropäischen Beitrittskandidaten hat zusammen mit dem von den USA aufgedrängten Türkei-Beitritt ausgereicht, die Rede von "Europa als Macht und Europa als Raum" aufzubringen. Damit ist gemeint, dass Kerneuropa politisch-militärisch agiert, und die anderen Länder über die Euro-Zone mit ihren Volkswirtschaften zwar zum politischen Gewicht beitragen, aber nichts zu sagen haben, wenn sie nicht so mitmachen, wie Berlin und Paris das wollen. Das finden die anderen natürlich nicht so gut. Wie üblich, wenn die EU mit der Konkurrenz ihrer Mitglieder nicht weiterweiß, wird eine neue Institution geschaffen. Diesmal sollen der Hohe Repräsentant für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und der Außenkommissar zusammengelegt werden. Dort wird dann das abstrakte Interesse an Einigung repräsentiert, das so abstrakt zwar keiner hat, von dem aber alle finden, dass alle anderen ihre Interessen daran relativieren sollten.
Zur Zeit mangelt es Europa an allem, was Weltmacht ausmacht: Weder das Geld noch die Waffen können zur Zeit! mit den USA mithalten. Doch die heutige Schwäche liegt gewiss nicht daran, dass die europäischen Waffenschmieden nicht das nötige Mordwerkzeug herstellen können. Sondern an dem bisher fehlenden politischen Willen, weil in der bisherigen europäisch-amerikanischen Arbeitsteilung die europäischen Länder sich nicht so viel Militär leisten mussten. Die USA konnten einen so gewaltigen Militärapparat aufstellen, weil sie als einzige Nation der Welt, allgemein anerkannten Reichtum mit der Notenpresse herstellen3. Daraus erklärte sich auch die optimistische Gelassenheit der USA, dass trotz ihrer Haushaltsdefizit die kapitalistische Konkurrenz, schließlich amerikanischen Erfolg hervorbringen wird. Erste Zweifel daran wurden bereits in den 90er Jahren laut; mittlerweile hat man auch am Potomac erkannt, dass die EU ein ernsthafter Gegner werden könnte. Im Windschatten der USA und durch intensive staatliche Betreuung der kapitalistischen Konkurrenz in ihren Ländern sind die Europäer weit gekommen. Die imperialistische Konkurrenz kommt jetzt in eine neue heiße Phase: Die EU will gleichziehen, auf allen Gebieten.
Bislang waren die Europäer allerdings gebremst, und zwar durch ihre eigenen Stabilitätskriterien. Seit das Geld der Welt nicht mehr irgendeinen Bezug auf das Gold hat, ist die Frage, was eine Währung wert ist, nicht nur eine Sache von Währungsmärkten geworden. Es wurde damit auch das zentrale Kriterium von Erfolg und Misserfolg in der kapitalistischen Staatenwelt, und seit dem hängt vom Wechselkurs allerhand ab. Die führenden kapitalistischen Staaten unterwarfen sich und alle anderen unter den Zwang, Vertrauen auf diesen von ihnen geschaffenen und betreuten Währungsmärkten zu finden. Als die USA beschlossen, ihre Staatsschulden abzubauen, wollten und mussten die Europäer antworten. Mit den berühmten Maastricht-Kriterien wollten sie dafür sorgen sollten, dass der Euro genauso viel Vertrauen auf den Währungsmärkten finden würde, wie der US-Dollar. Nur: Weltmacht sein ist nicht billig. Das ganze Zeug zum Leute umbringen, ausspionieren und einsperren, will bezahlt werden, plus die ideologisch wichtigen Lebensmittelpakete, Einwegspritzen samt Kultur-Schnickschnack. Statt wie bisher zu sparen, und trotzdem die Bundeswehr überall hinzuschicken, wo es nur ging, hat Rot-Grün verkündet, dass man mehr und bessere Waffen braucht, um Europa friedenspolitisches Gewicht zu verschaffen. Vermutlich wird man nicht so weit gehen, dass man in Zukunft wirklich Verteidigungsinvestitionen von der Berechnung des Haushaltsdefizits ausnimmt, wie Verteidigungsminister Struck das gefordert hat. Und dennoch muss man sich Gedanken machen, wie man Währungsstabilität und Weltmacht in Einklang bringt
Der neue US-Bundeshauhalt enthält mit dem Dreischritt a) Steuerentlastung, b) Aufrüstung und c) Neuverschuldung eine bemerkenswerte Kursänderung. Die USA werden in den kommenden Jahren auf Einnahmen verzichten und entlasten vor allem das Kapital. Das heißt immer mehr Zwang für die Träger der Arbeitskraft, diese zu verkaufen, weil in der Regel an der sozialstaatlichen Betreuung von Armut und Arbeit gespart wird. Der Verzicht auf Steuereinnahmen wird aber kein Zurückstecken in Sachen Weltmacht bedeuten. Deren weiterer Ausbau wird durch Neuverschuldung bezahlt. Entschlossen die amerikanische Weltmacht in Frage zu stellen, von der ökonomischen Stagnation einerseits und von dem eigenen Konstrukt der Maastricht-Kriterien andererseits behindert, sieht Deutschlands Kampfansage entsprechend aus. Das Kapital wird auch D-Land steuerlich entlastet, was bleibt also? Während man einerseits die Ressentiments gegen die USA und ihren &Mac226;Raubtierkapitalismus schürt, baut man die Unterschiede zu den USA ab. Arme, Alte, Arbeitslose und Kranke sind Belastungen; die Arbeitskraftbehälter werden zur Selbstorganisation ihrer Ausbeutung und zur Selbstinvestition in ihre Ausbeutungsfähigkeit herangezogen, und alles wird einer verschärften Debatte unterzogen, ob es national nützlich und nachhaltig ist. Maastricht-Kriterien und blaue Briefe werden in ihrer Wichtigkeit relativiert, was auch für new europe kein Problem ist, und der Superminister heißt nicht mehr Eichel, sondern Clement. Eine erneute Klarstellung, dass Haushaltspolitik ein Mittel nationaler Größe ist, und die Konkurrenz der Nationen eben nicht nur über den Wechselkurs der Währungen ausgetragen wird. Eine Sache sollte aber klar sein: Kerneuropa und USA stehen zwar in Konkurrenz zueinander, aber haben auch genügend gemeinsame Interessen. Keine offenen Kriege in absehbarer Zeit also, wohl aber viele Streits über die genaue Definition der Partnerschaft und einige blutige Stellvertreterkriege. Sollten demnächst Mahnungen aus Berlin erschallen, nicht in "blinden" oder "primitiven" Antiamerikanismus zu verfallen, so wäre das nicht verwunderlich. So wie sie als sekundäre Antisemiten allzu offenen Antisemitismus bekämpfen, und als liberale Rassisten nützliche Ausländer vor faschistischen Fundamentalisten beschützen, so wollen die Rot-Grünen einen Anti-Amerikanismus, der sich an den deutschen Interessen orientiert.
Der Protest gegen die neuesten Gemeinheiten im Sozialbereich, wird, so schlapp er ist, von den üblichen Verdächtigen organisiert. Nämlich von genau denen, die dagegen waren, dass das Baath-Regime weggeschossen wird, und neben Frieden, Völkerrecht auch noch solche Ideale wie "soziale Gerechtigkeit" und dass die Welt keine Ware sein soll, im Angebot hatten. Der Zusammenhang zwischen ihrer Ermutigung an die rot-grüne Regierung, den USA die Zähne zu zeigen, und den jetzt anstehenden Renovierungsarbeiten am nationalen Gebiss, wird ihnen nicht aufgehen. Im Gegenteil: Schuld wird wieder der böse Neoliberalismus sein, dessen Hauptwohnsitz die Verteidiger des rheinischen Kapitalismus in den USA vermuten. Dass es nicht die böse US-Regierung ist, sondern ein deutsches Weltmacht-Programm, dass für die neuen Gemeinheiten sorgt, geht Nationalisten eben nicht ein. Einfacher könnten es die nützlichen Idioten des EU-Imperialismus ihrer Regierung wirklich nicht machen. 1 Dem trägt auch der Vorschlag, über die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik in Zukunft mit qualifizierter Mehrheit zu entscheiden, statt Einstimmigkeit zu verlangen, Rechnung. Dass es einen Quertreiber gibt und geben wird, ist klar. (Zurück in den Text) 2 Die CDU/CSU gibt sich da zur Zeit deutlich oppositioneller als sie ist; das Kerneuropa-Projekt, das Schröder jetzt umsetzt, stammt aus ihrer Feder. (Zurück in den Text) 3 Die Grenzen dieser Möglichkeit hatten die Europäer den USA Anfang der 70er Jahre gezeigt. (Zurück in den Text) |
Pages in English
ilka.org sicher lesen? dann: https://www.ilka.org |