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Militär/Krieg | Denkpause 12 | 12.05.01

Armee für freie Märkte - Tornados gegen Flüchtlinge

EU-Angriffstruppe rüstet auf

Wenn jemand privat ein Gemetzel veranstaltet hat, wandert er im Rechtsstaat in der Regel in den Knast. Die EU hingegen schenkt sich - als Belohnung für den mit Lügen legitimierten Angriffskrieg gegen Jugoslawien - eine eigene Interventionsarmee. Während Brüsseler Mühlen oft langsam mahlen, wird die Euro-Truppe mit Tornadogeschwindigkeit durchgesetzt.

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Selbst das Lieblingsprojekt der europäischen KapitalistInnen, die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion, brauchte 15 Jahre bis zu ihrer vorläufigen Vollendung. Ganz anders das Tempo bei der Militarisierung der EU. 1999 beim Gipfel in Köln wurden neue Entscheidungsstrukturen beschlossen, wenig später ein »Headline Goal« festgelegt: Innerhalb von sechzig Tagen soll eine 60.000 KämpferInnen starke Truppe für einen Einsatz von bis zu einem Jahr verlegt werden können.
Da sich ein Drittel der Truppe immer in der Ausbildung befindet, und die eingesetzten Truppenteile nach einem halben Jahr ausgetauscht werden sollen, werden jedoch weit mehr SoldatInnen benötigt. Manche BeobachterInnen gehen von bis zu 200.000 SoldatInnen aus, der französische Ratsvorsitz nannte im Dezember 2000 eine »Reserve von mehr als 100.000 Personen und ungefähr 400 Kampfflugzeugen und 100 Schiffen«. Allerdings handelt es sich bei der wohl ab 2003 einsatzbereiten EU-Armee um kein stehendes Heer. Die menschlichen und technischen Kampfmaschinen halten sich vielmehr in den nationalen Streitkräften für den konkreten Interventionsfall bereit. Manche Linksliberale verbanden mit der Einbindung Deutschland in die Europäische Gemeinschaft einst die Hoffnung, den NS-Nachfolgestaat durch Kooperation zu zähmen. Mit der deutschen Führungsrolle in der EU-Armee ist diese Strategie jetzt nicht mehr nur auf wirtschaftlichem, sondern auch auf dem militärischen Gebiet endgültig gescheitert. Die Bundeswehr stellt einen größeren Anteil als jede andere beteiligte Armee und übernimmt die Führung der EU-Truppe.
Der Deutsche Bernd Schuwirth leitet als Generaldirektor den Militärstab aus Offizieren aller EU-Staaten. Und beim Militärstab handelt es sich immerhin um jenes Gremium, das im »Krisenfall« die militärstrategischen Optionen entwickelt, über deren Priorität entscheidet und die Streitkräfte festlegt, die an einem EU-Angriffskrieg teilnehmen dürfen. Es bleibt abzuwarten, wann die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der EU so weit vergemeinschaftet wird, dass Deutschland auch Zugriff auf Atomwaffen hat.
Die bedeutendsten militärischen Defizite der EU-Streitkräfte sind zur Zeit die strategischen Schwächen und fehlenden Aufklärungsfähigkeiten. Ohne die Unterstützung der USA kann Europa heute kaum aussichtsreiche Angriffskriege führen. Die Mitgliedstaaten haben daher neben der Verstärkung einiger operativer Fähigkeiten und Kapazitäten vor allem die Entwicklung der strategischen Fähigkeiten in den Mittelpunkt ihrer Rüstungsvorhaben gestellt.
Im Einzelnen sind dies die »strategische Mobilität zur raschen Verbringung von Streitkräften ins Einsatzgebiet; Stäbe für die Streitkräfteführung und dazugehörige Informations - und Kommunikationssysteme; Mittel zur Aufklärung für die Streitkräfte«. Die EU soll Zugang zu den Satellitenbildern bekommen, neue Satellitensysteme sollen mit optischer Ausrüstung und mit Radarausrüstung verbessert werden (siehe auch Kurzmeldung »Letztes Gefecht im Weltraum«).
Mit der Verbesserung der strategischen Fähigkeiten und der Aufklärung soll der Rückstand der EU-Armee gegenüber den USA verkleinert werden. Auch wenn in den nächsten Jahren eine Frontstellung gegenüber den USA nicht möglich sein wird, scheint sie perspektivisch durchaus denkbar.
Die durch die West-Ost-Konfrontation zusammengeschweißte transatlantische Allianz könnte Jahrzehnte nach dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes Risse bekommen. Eine von vielen besorgten Stellungnahmen kam Anfang des Jahres von einen Sicherheitsberater des US-Präsidenten. Er nannte die schnelle EU-Truppe einen »Dolchstoß in das Herz der Nato.« will der Spiegel erfahren haben.
Sowohl USA als auch EU wollen sowohl Rohstoffe abbauen und verwerten, als auch neue Absatzmärkte aufbauen. Doch der Run auf die noch nicht erschlossenen Gebiete ist groß, und so lauten die Fragen: Wer schafft in Lateinamerika per Handelsabkommen zuerst die idealen Bedingungen für die eigenen Unternehmen, und wer kommt zuerst an die Bodenschätze im Kaukasus - USA oder EU?
Um das zentralasiatische Öl könnte die EU auch mit Rußland in Konflikt geraten. Das Zentralorgan der sogenannten Freiheitlich Demokratische Grundordnung Das Parlament berichtet am 3.12.2000 aus einem von Neid geprägten Blickwinkel über die Russen: »Mit beiden Beinen fest verankert steht das einstige Großreich am kaspischen Meer, wo enorme Energievorräte schlummern.« Die Ratlosigkeit über fehlende Feinde für die neue Truppe fasst die Wochenzeitung metaphorisch zusammen: »Das Schiff hat den Hafen verlassen. Selbst wenn das Ziel noch ungewiss ist.«
»Die kollektive Verteidigung wird weiterhin Aufgabe der NATO bleiben«, versicherte der deutsche Außenminister Fischer schon Anfang 1999 vor dem Europäischen Parlament. Der Hohe EU-Beauftragte für die GASP, Javier Solana, schließt sich an: »Unser Plan ist bescheiden und zielt nicht auf eine Verteidigungsallianz.« Was aber sind die Ziele einer EU-Angriffstruppe: der EU stabilere Märkte, erweiterte Handelsmöglichkeiten und weniger Flüchtlinge zu bescheren, wie Solana in erfreulicher Deutlichkeit erklärte. Die Mischung aus weltweit agierendem Bundesgrenzzschutz und neokorporatistischer Wirtschaftsarmee, die Marktbeschränkungen für EU-Unternehmen wegbomben soll, benötigt für ihren Auftrag nicht mal ein UN-Mandat. Der eigentlich selbstverständlichen Forderung, dass sich die EU-Truppe zumindest an das Völkerrecht halten muß, schlossen sich im Europäischen Parlament nur ein Siebtel der Abgeordneten ab.
Die grüne Europaabgeordnete Elisabeth Schroedter setzt sich weiterhin sehr engagiert für die Legitimation der Truppe ein. So fordert sie vehement die Beteiligung des Europäischen Parlaments zur demokratischen Kontrolle der Militäreinsätze. Sollte sie sich durchsetzen, so werden die Opfer einer EU-Intervention immerhin das gute Gefühl haben, von demokratisch ins Ziel gelenkten Splitterbomben zerfetzt worden zu sein.
Daniel Cohn-Bendit (Grüne) erklärte ebenfalls sein Einverständnis mit einer europäischen Verteidigung, sofern sie vom EP und von den nationalen Parlamenten kontrolliert werde. Wenn es nach ihm geht, werden bald auch in Straßburg und Brüssel gefälschte Hufeisenpläne oder gegrillten Föten gezeigt, die dann demokratisches Entsetzen und Kriegeslust auslösen.
Zur Belohnung für den mit Lügen durchgesetzten Angriffskrieg gegen Jugoslawien wird von der deutschen Bundesregierung nicht nur die eigene Bundeswehr angriffsfähiger gemacht. Unter grüner Regierungsbeteiligung in den beiden in Militärfragen wohl profiliertesten EU-Staaten, Frankreich und Deutschland, sowie mit einer starken Truppe im Europäischen Parlament, ist es nunmehr sogar gelungen, eine völlig neue Armee aufzubauen.
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Zum Weiterlesen:

Außen- und Sicherheitspolitik - Übersicht der Europäischen
Kommission
http://www.europa.eu.int/pol/cfsp/index_de.htm

EU-Militärstrukturen
http://ue.eu.int/pesc/military/en/homeen.htm

Presseschau GASP
http://www.politik-digital.de/europa/dossier/gasp/presse.shtml

Ulrich Sander:
Nach dem Balkan-Krieg kam der neue Aufschwung der
Rechtsextremisten und Kriegsbefürworter
http://www.friedenskooperative.de/ff/ff00/5-34.htm

Kriegsparteitag der Grünen im Netz
http://www.gruene.de/archiv/grem/bdk/99Bielefeld/index.htm

Friedensbewegung
http://www.friedenskooperative.de

Rezension:
Eric Chauvistré: Das atomare Dilemma. Die Raketenabwehrpläne der USA. 160 S., DM 24,90 (12,73 Euro), Berlin, Espresso 2001.
Nach Chauvistré ist es das Ziel der US-amerikanischen Raketenawehrpläne, ihre militärischen Interventionsmöglichkeiten abzusichern. Die US-Militärs wollen Interventionskriege auch dann noch politisch durchsetzen können, wenn ihre Gegner über Atomwaffen verfügen. In seinem Buch legt er neben den politischen auch die technischen und militärischen Hintergründe des US-Konzepts dar und analysierte die europäischen Reaktionen bis Februar 2001. Der stolze Preis für das dünne Taschenbuch lohnt sich nicht nur wegen des Inhalts, sondern auch wegen seines angenehmen Sprachstils. Und wenn man nach 132-Nettoseiten Text mehr weiß, als anderswo nach 400 Seiten, ist das allemal ein Vorteil.

Was tun?
Sofortige Auflösung aller Armeen, wobei im eigenen Land mit gutem Beispiel vorangegangen werden muss. Zunächst sind die angriffsfähigen Truppenteile - die von rot-grün zur Zeit massiv aufgestockt werden - zu zerschlagen. Bei unvermeidbaren Angriffskriegen müssen engagierte MilitärstrategInnen wie Scharping, Schröder, Fischer und Beer in der ersten Reihe der Bodentruppen eingesetzt werden. Die zur Kriegsproduktion verwendbare Schwerindustrie muss irreparabel demontiert werden. Den in kriegswichtigen Unternehmen tätigen ArbeitnehmerInnen werden Ersatzarbeitsplätze in der ökologischen Landwirtschaft oder beim Wiederaufbau Jugoslawiens angeboten.

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