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Ilka Schröder

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Europa | Denkpause 13 | 01.07.01

EU-Protest-Sommer

Vorsicht vor Ausreiseverbot und Schiessbefehl

Im vierzigsten Jahr nach dem Bau der Berliner Mauer denkt unmensch in Deutschland nun wieder über Ausreisebeschränkungen für politisch Andersdenkende nach. Lebensgefährliche Schüsse auf demonstrierende Menschen werden von den Regierungen Europas wortlos hingenommen. Das ist die subtile Vorform einer neuen Berliner Mauer, mit dem Unterschied, dass es auf der Ebene der europäischen Regierungen keine GegnerInnen dieses Projektes mehr gibt und dass parallel zum Ausreiseverbot für RegierungsgegnerInnen noch die Grenzabwehr gegen wirtschaftlich schlecht verwertbare Einreisewillige ausgebaut wird. Was früher dem Sozialismus gedient haben soll, wird heute mit freien kapitalistischen Märkten begründet.
Die neokorporatistische Gestaltung der Globalisierung durch die rot-grünen bis braunen MachthaberInnen Europas berechtigt und verpflichtet zum heftigen Widerstand. Die Aufstände der Anständigen in Nizza und Göteborg wenden sich gegen ein Europa, das sich gegen Flüchtlinge abschottet, Interventionskriege plant und von unten nach oben umverteilt. Gegen den Schrei nach Gerechtigkeit hilft nur ein radikaler Politikwechsel hin zu einer freien und solidarischen Gesellschaft - oder die brutalstmögliche Unterdrückung und Verfolgung der RepräsentantInnen dieser sozialen Bewegung.
Letztere werden wir in diesem Jahr in dem von Alt- und NeofaschistInnen mitregierten Italien erleben, denn in Genua soll im Juli der G8-Gipfel stattfinden. Dort wird voraussichtlich der größte Protest stattfinden, den wir in letzter Zeit erlebt haben: Die soziale Bewegung in Italien steht in historischer Kontinuität mit den autonomen Bewegungen aus den siebziger Jahren. Außerdem gibt es in Italien 300 bis 400 selbstverwaltete soziale Zentren, in denen sich verschiedene Zusammenhänge organisieren. Seit Mitte der neunziger Jahre hat der zapatistische Diskurs Einfluss gehabt. Das Ya Basta Netzwerk und die Aktionsform »tute bianche« sind Ergebnisse davon. Erwartet werden allein aus Italien etwa 80.000 Menschen. Problematisch ist, dass etwa eine Woche vor Beginn des Treffens die Stadt hermetisch abgeriegelt sein wird. Seit etwa einem Jahr herrschen in der Stadt erhöhte Sicherheitsvorkehrungen. Kurz vor Redaktionsschluss der Denkpause wird diskutiert, den Gipfel wegen der Proteste auf einem Schiff auf hoher See zu veranstalten. Über den Einsatz der Armee gegen DemonstrantInnen wird ebenfalls nachgedacht. Mit Ausnahme von Irland sind in Westeuropa seit dem Ende der faschistischen Diktaturen in Spanien und Portugal in den siebziger Jahren keine Armeen mehr im Inneren eingesetzt worden.
Eine konsequentere Lösung haben die VeranstalterInnen des Ende Juni in Barcelona geplanten Weltbanktreffens gefunden. Sie haben ihre Veranstaltung wegen der zu erwartenden Proteste abgesagt und machen sich Gedanken über einen Veranstaltungsort im Internet. Höhepunkt des europäischen Protest-Sommers in Deutschland ist das Grenzcamp 01 in der Nähe des Frankfurter Flughafens. Rhein-Main ist der deutsche Abschiebeflughafen Nummer eins. Jährlich werden etwa 10.000 Menschen von dort abgeschoben, wenn sie sich nicht vorher im Internierungslager umgebracht haben oder vom Bundesgrenzschutz mit Hilfe von Beruhigungsspritzen oder Helmen getötet wurden. Wem die Events noch nicht reichen, dem/der stehen auch die Aktionen anläßlich der Weltklimakonferenz offen. Wie eigentlich immer, sollte man sich hier allerdings zunächst anschauen, für was mensch demonstriert. Sonst läuft mensch vielleicht ungewollt für die Privatisierung der Luft durch die Stadt. WWW-Verweise: Siehe Terminverzeichnis.

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