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Ilka Schröder

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Dalai Lama | Denkpause 14 | 17.09.01

Bad Religion

Dalai Lama soll im EP empfangen werden

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Das geistige Oberhaupt der Buddhisten soll im Oktober als erster nicht-weltlicher Herrscher vor dem Europäischen Parlament sprechen. Ein Besuch des Gelbmützen-Gurus war vor einigen Jahren schon einmal geplant, aber nach Protesten Chinas wieder abgeblasen worden. Die Zeiten haben sich geändert: Bomben auf die chinesischen Botschaft in Jugoslawien und die selbstverständliche Verletzung des chinesischen Luftraums durch US-Spionage-Flugzeuge haben schon in den letzten Jahren den Bedeutungsverlust der bevölkerungsreichsten Atommacht verdeutlicht. Die Buddhisten des Dalai Lama sind beim Kampf um Menschenrechte in Tibet für die EU ein ähnlich guter Verbündeter wie die UCK auf dem Balkan: Befreiungskämpfer, die zufällig den gleichen Gegner haben wie die EU. Von Tibet-Unterstützungsgruppen wird der Dalai Lama oft zu Unrecht als Friedensengel dargestellt. Der amtierende Dalai Lama befürwortete nicht nur die indischen Atomtests, sondern förderte mit einem Empfehlungsschreiben auch den Aufstieg der japanischen Terror-Sekte Aum Shinrikyo unter Shoko Asahara. Aum war später für den Giftgasanschlag auf die U-Bahn in Tokio verantwortlich, bei dem tausende Menschen verletzt und 12 getötet wurden. Noch nach dem Anschlag bezeichnete der Dalai Lama Asahara als seinen »Freund, wenngleich nicht unbedingt einen vollkommenen (not necessarily a perfect one)«.
Auch im Umgang mit den eigenen AnhängerInnen ist der tibetische Buddhismus keineswegs so menschenfreundlich, wie ihr stets lächelndes Oberhaupt suggeriert. Bis in das 20. Jahrhundert hinein gab es Sklaverei. Die Gelbmützen-Mönche herrschten nicht nur über Gesetzgebung, Polizei und Gerichtsbarkeit, sondern beuteten ihre Leibeigenen und unfreien Bauern so aus, dass keine menschenwürdige Existenz mehr möglich war. Widerstand wurde durch den Glauben verhindert, der schon den Kleinkindern eingetrichtert wurde. Nach der buddhistischen Karmalehre bekommt derjenige, der sein Schicksal willig erleidet, gutes Karma. Und das braucht man, denn laut amtierendem Dalai Lama »führen verdienstvolle Handlungen in diesem Leben zu einer günstigeren Wiedergeburt im nächsten.« Wer dagegen - auch nur in Gedanken - Kritik an seinen Gurus übt, kommt in die Hölle oder muss andere Qualen erleiden. Die Karmalehre ist eine perfekte Indoktrination, die jedes selbständige Nachdenken über die eigenen Lebensumstände ab dem Kleinkindalter unterdrückt. Leid, Armut und soziale Ungleichheit durch grenzenlose Ausbeutung werden legitimiert, der einzelne trägt die Schuld für seine Situation wegen Untaten in einer früheren Inkarnation. Kein Wunder, wenn da Mary Craig in einem wohlwollend verklärenden Buch, zu dem der Dalai Lama ein Vorwort beisteuerte, bezüglich der Zustände in Tibet vor dem Einmarsch (»Befreiung«) der Chinesen 1950 feststellte: »Das Leben des einfachen Tibeters war hart, aber es war nicht die von der chinesischen Propaganda dargestellte reine Hölle… Im allgemeinen erfüllte die Tibeter nicht das Bewusstsein, niedergedrückt oder ausgebeutet zu werden, und ihr ungeheuerer Lebenswille wurde nicht durch den Freiheitswunsch getrübt, den sie nie gekannt hatten… Ungeachtet der gähnenden Kluft hinsichtlich der Einkünfte und des materiellen Besitzes verspürten die Armen derart wenig Hass auf die Reichen, dass es in der gesamten Geschichte Tibets nur selten zu Volksaufständen kam.« 95 Prozent der tibetischen Kinder lernten unter der Mönchsherrschaft nicht lesen und schreiben, ein Gesundheitssystem war praktisch nicht vorhanden. Die Lebenserwartung hat sich unter chinesischer Herrschaft von 36 Jahren (1950) auf heute 67 Jahre erhöht. Gegen Bemühungen um die Verbesserung der bedauerlichen chinesischen Menschenrechtssituation ist sicher nichts einzuwenden. Der Dalai Lama ist dafür aber der falsche Verbündete. Die Hofierung des Dalai Lama durch das Europäische Parlament ist daher das falsche Signal. Der Dalai Lama wäre der erste nicht-weltliche Herrscher, der vor dem Europäischen Parlament sprechen darf. Mit seiner Auswahl als Inkarnation eines früheren Dalai Lamas im Alter von vier Jahren werden sogar die westlichen Demokratiestandards noch unterschritten. Nur die gesellschaftliche Befreiung der Menschen in Tibet kann den Menschen helfen, aus dem chinesischen Pseudokommunismus und aus der religiösen Unterdrückung durch die Gelbmützen-Sekte des Dalai Lama zu entfliehen. Eine Wiedereinsetzung der Mönchsherrschaft in Tibet ist für die soziale Befreiung aber hinderlich.


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Zum Weiterlesen:

Kritische Biografie des Dalai-Lama

Wer sich kritisch mit dem Leben und Werk des Dalai Lama auseinandersetzen will, sollte zuerst zum Werk des kritischen Psychologen Colin Goldner greifen. Über die reine Biografie hinaus werden in 16 Exkursen verschiedenste Aspekte seiner Religion beleuchtet. Karmalehre, Religions- und Sozialgeschichte, Tantra-Phallokratie, Verbindungen des tibetischen Lamaismus zum deutschen Nationalsozialismus, fragwürdige Propaganda der Tibet-Unterstützergruppen und vieles mehr. Die Kritik traf manche Lama-Fans offenbar so ins Mark, dass schon vor Erscheinen Morddrohungen ausgesprochen und ein Fäkalienpaket an den Verlag geschickt wurde.
Colin Goldner: Dalai Lama. Fall eines Gottkönigs.
Alibri, Aschaffenburg 1999, 455 S., DM 39
ISBN 3 932710-21-5

Kurios
Das Europäische Parlament beschäftigte sich am 13.7.1995 mit dem Streit um den doppelten Panchen Lama. China suchte nach dem Tod des 10. Panchen Lama selbst einen neuen aus. Das Staatsorakel des Dalai Lama bezweifelte aber, dass die Chinesen die echte Inkarnation gefunden hatten. So suchten und fanden die Gelbmützen eine eigene Wiedergeburt des Panchen Lama. Und da hatte man den Salat. Welcher war der richtige? Das Europäische Parlament stellte sich im Streit um den doppelten Panchen Lama auf die Seite der Mönche und gegen China. Ob dabei in Strasbourg ein Parlamentsorakel geholfen hat, ist nicht überliefert.

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