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Festung Europa | Denkpause 16 | 10.12.01

Abschottung, Abschreckung und Abschiebung

EU gegen »illegale MigrantInnen«

Nach ihren Vorschlägen zur legalen Immigration und zum Asylrecht hat die Europäische Kommission nun ihre Vorstellungen zum Umgang mit den illegalisierten EinwandererInnen bekannt gegeben. Mit einer Verelendungsstrategie soll verhindert werden, dass das Leben für Papierlose in Europa auch nur einen Deut erträglicher wird als in ihren Herkunftsländern.

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In diesem Sinne schlägt ein soeben erarbeitetes Konzept der Europäischen Kommission ein neues Maßnahmenpaket zur »Bekämpfung der illegalen Migration« vor, das direkt aus der Feder der Herren Schill oder Schily geflossen sein könnte. Darin beschreibt die Kommission sechs Bereiche, in denen neue repressive Maßnahmen gegen Flüchtlinge ergriffen werden sollen: die Visumspolitik, der Informationsaustausch, die Grenzbewachung, die polizeiliche Zusammenarbeit, die Ausländergesetzgebung und die Abschiebepolitik. Dabei will sich die EU auf Maßnahmen stützen, die auf nationaler Ebene bereits bestehen, und beabsichtigt diese durch eine verbesserte Koordinierung um eine »europäische Dimension« zu ergänzen. Außerdem will die Kommission einige neue »innovative Konzepte« hinsichtlich der Bekämpfung der heimlichen Einwanderung einführen.
Langfristig plant die EU die Aufstellung einer europäischen Grenzpolizei, die nach außen die Grenzen von Schengen-Land bewachen soll. Ganz so, als ob die GrenzsoldatInnen des deutschen BGS bei der Abschottung nicht schon ganze Arbeit leisten würden, träumt EU-Kommissar Antonio Vitorino davon, seine EU-Grenzpolizei in der bereits existierenden Europäischen Polizeiakademie auszubilden und dann ins Feld zu schicken. Dabei stellte eine Studie des Flüchtlingshilfswerks UNHCR schon vor über einem Jahr fest, dass sich das Asylrecht in der EU praktisch nicht mehr in Anspruch nehmen lässt, weil AsylbewerberInnen zumindest auf legalem Wege gar nicht mehr in die EU gelangen, um dort überhaupt einen Antrag stellen zu können.
Wer nun jedoch glaubt, es sei daher besser ein Visum zu beantragen, bevor er oder sie sich nach Europa aufmacht, sieht sich getäuscht: Denn eine Datenbank zur Visumskontrolle, mit der der Informationsaustausch und die Identifikation von Visa der verschiedenen Staaten möglich wird, ist ebenfalls in Planung. Die Machbarkeitsstudie zu diesem ganzen Paket soll auch noch ausgerechnet von Italien erstellt werden, also jenem Land, in dem bereits darüber diskutiert wurde, ob herannahende Flüchtlingsboote beschossen werden dürfen oder nicht.
Eine beliebte rhetorische Figur war in diesem Zusammenhang bisher das Bedauern des schweren Schicksals der MigrantInnen unter direkter Bezugnahme auf die in schändlicher Weise geschäftstüchtigen FluchthelferInnen. Diese Argumentationsfigur gehört jedoch nunmehr wohl der Vergangenheit an. Jetzt sollen gleich die EinwandererInnen selbst gnadenlos bekämpft werden, egal wie sie in die EU kommen: »Da gibt es zum einen Menschen, die illegal in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates einreisen. Dies kann entweder vermittels eines illegalen Grenzübertritts erfolgen oder an einer Grenzkontrollstelle mit ge- oder verfälschten Papieren. Oft erfolgt diese illegale Einreise allein und ohne fremde Hilfe.« Eine im Umkehrschluss möglicherweise höhere Akzeptanz und Anerkennung der SchleuserInnen als humanitäre Organisationen ist damit bisher allerdings noch nicht verbunden.
Vielmehr arbeitet sich die EU auch weiterhin an jener Branche ab, deren einzige Geschäftsgrundlage eben die abschottenden Grenzregime der EU und ihrer Mitgliedsstaaten sind: »In zunehmendem Maße wird sie jedoch von Schleusern organisiert, die - angefangen bei den Herkunftsländern über die Transitländer bis zu den Zielländern - Transport, zeitweilige Unterkunft, Reisedokumente, Informationen, Sicherungs- und andere unterstützende Dienste übernehmen.« Doch nicht nur die Tätigkeit der SchleuserInnen erregt den Widerspruch der EU, sondern in scheinbarem Mitleid auch ihre Hochpreispolitik. Seltsam, müssten sich die InnenpolitikerInnen der EU doch eigentlich über Preise freuen, die sich bald gar kein Mensch mehr leisten kann.
Und tatsächlich wird die Preissteigerung für »border crossing services« auch direkt von den sich abschottenden Staaten verursacht. Wo die Leistungen wegen hoher Hürden immer anspruchvoller werden, da steigen auch die Preise. Die Kommisson erkennt: »Die Preise für diese Schleuserdienste sind sehr hoch, und die meisten illegalen Einwanderer müssen dafür ihre kompletten Ersparnisse oder zumindest den Großteil davon hergeben.«
Die einzig konsequente Maßnahme gegen diesen Missstand wäre: Grenzen auf für alle - auch wenn es Arbeitsplätze bei den GrenzsoldatInnen und FluchthelferInnen kostet. Denn selbst eine finanzielle Förderung für Schleuser-Banden (siehe Denkpause 6, 7, 8, 11, 14) würde das Übel der Grenzabschottung zugegebenermaßen nicht an der Wurzel packen.
Wenn es den MigrantInnen in der EU ökonomisch, menschenrechtlich oder sonst irgendwie besser gehen würde als in ihren Herkunftsländern, so sei dies als gefährlicher »Pull-Faktor« zu sehen, der weitere Immigration nach sich ziehen könnte. Ziel europäischer Politik soll es dementsprechend sein, EinwanderInnen möglichst schnell und umfassend in die Verelendung zu treiben. Als wichtigsten »Pull-Faktor« hat die Kommission dabei den Zugang zu papierloser »illegaler« Beschäftigung identifiziert. Die ganze Kommissionsmitteilung durchzieht das Bild von ekligen, unerwünschten und schädlichen EinwandererInnen, die möglichst effektiv vom »Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts« der EU abgehalten werden sollen. Wie ansonsten nur bei den SchleuserInnen wird auch hier scheinheilig von »ökonomischer Ausbeutung« geschrieben.
Damit werden aber keineswegs die eigenen flüchtlingsfeindlichen Maßnahmen beschrieben, die ihren Abschreckungszweck erfüllen, wenn es ihretwegen den Flüchtlingen schlecht geht. Kritisiert wird vielmehr die Tatsache, dass papierlose MigrantInnen ausbeuterisch und außerhalb der Sozialversicherungspflicht beschäftigt werden. Dieses Problem aber wird direkt und allein verursacht vom staatlich ausgesprochenen Verbot, in der EU auch nur zu existieren. Zwar handeln UnternehmerInnen im kapitalistischen System selten aus Menschenliebe. Doch selbst aus Gründen der Solidarität wäre es kaum möglich, illegale papierlose MigrantInnen anzustellen. Zudem müsste eine möglichst ausbeuterische Beschäftigung von Illegalen eigentlich durchaus im Sinne der Kommission sein — schließlich schreckt deren Existenz vom gelobten Europa ab.
Bei aller Kritik an der realen Umsetzung in einzelnen EU-Staaten in der Vergangenheit könnten hier Legalisierungsmaßnahmen für papierlose MigrantInnen einen Ausweg bieten. Aber auch dem schiebt die EU-Kommission einen Riegel vor: »Gleichwohl kann die Öffnung bzw. die Wiedereröffnung legaler Kanäle für die Einwanderung nicht als Allheilmittel gegen die illegale Einwanderung angesehen werden.« Die Aussicht eine spätere Legalisierung wird wiederum als »Pull-Faktor« verdammt.
Wenn Abschreckungs-, Abschottungs- und Verelendungsstrategie scheitern sollten, bleibt dann als ultima ratio nur noch die zwangsweise Entfernung von MigrantInnen aus der EU. Selbstredend kümmert sich die EU bereits auch hierum intensiv. Ein Grünbuch soll demnächst erste politische Konzepte zu einer gemeinsamen Abschiebepraxis vorstellen. Dabei ist zu befürchten, dass weitere Abkommen mit »Rücknahmestaaten« abgeschlossen werden sollen. Die Herkunftsstaaten werden durch Prämien für jeden zurückgenommenen Staatsangehörigen oder andere Vergünstigungen dafür belohnt, dass sie politische, ökonomische oder andere Fluchtgründe mit zu verantworten haben. Für schlaue Regierungen der Herkunftsstaaten könnte dies also ein Anreiz sein, die politische Repression weiter zu verstärken. Die deutsche Asyl- und Migrationspolitik — aufgrund derer Flüchtlinge an den abgeschotteten Grenzen regelmäßig ums Leben kommen — findet mit dem Kommissionspapier auf europäischer Ebene ihre Entsprechung. Getreu Schilys Zuwanderungsgesetz trennt auch die EU EinwandererInnen in »gutes« wirtschaftlich verwertbares Humankapital, für das schicke neue Visa und sicher bald auch Green Cards bereitgehalten werden, und »böse« illegale Migration, die »Quelle menschlicher Tragödien und ein gefundenes Fressen für die internationale Kriminalität« (EU-Kommissar Vitorino) sei.
Das Prinzip der Verwertbarkeit menschlichen Lebens wird zum Exportschlager des rot-grün regierten Deutschland: Jetzt soll es EU-weit durchgesetzt werden.
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Zum Weiterlesen:

Jörg Alt, Ralf Fodor: Rechtlos? Menschen ohne Papiere. Anregungen für eine Positionsbestimmung.
Karlsruhe, von Loeper
Literaturverlag 2001.
223 S., 34 DM
http://www.vonloeper.de/Asyl_und_MenschenrechteIllegalezpIllegalisierte.html

Selbst innerhalb der herrschenden Rechtsordnung der BRD — so lassen sich die Ergebnisse dieser Untersuchung zusammenfassen — gibt es Möglichkeiten, Illegale zu unterstützen. Im ersten Teil stellt Jörg Alt die Problemlage der Papierlosen dar. Das Ziel: Das Bewusstsein für die Problematik schärfen. Von der Art und Weise, wie Illegale in der BRD behandelt werden über konkrete Auswirkungen der ausländerfeindlichen Politik kommt Alt zu ethischen Fragen, aber auch zu Problemen Illegaler in Verhandlungen mit Ämtern.
Für alle, die ohne Aufenthaltsrecht in Deutschland leben oder die mit solchen Personen zu tun haben und den Rechtsrahmen ausschöpfen wollen — sei es nur als Ärztin oder Verwaltungsangestellter oder Lehrerin -, ist der zweite Teil des Buches wertvoll: Ralf Fodor behandelt in seinem Rechtsgutachten juristische Probleme, die das Einklagen von vorenthaltenem Lohn, Leistungen des staatlichen Gesundheitswesens und die Schulausbildung von Kindern betreffen. Wer Ilegale in diesem Rahmen unterstützt, geht damit noch keinerlei rechtliches Risiko ein. Ob es nötig ist, darüber hinaus auch den Konflikt mit dem Gesetz zu riskieren, sollte nicht nur in einer juristischen, sondern vor allem in einer ethischen Abwägung entschieden werden.

Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über eine
gemeinsame Politik auf dem Gebiet der illegalen Einwanderung (KOM(2001)672
endgültig, 15.11.2001
http://europa.eu.int/eur-lex/de/com/pdf/ 2001/com2001_0672de01.pdf
Europäische Kommission - Generaldirektion Justiz und Inneres
http://europa.eu.int/comm/dgs/justice_home/index_de.htm

European Council on Refugees and Exiles
http://www.ecre.org/

Deportation Class -- gegen das Geschäft mit Abschiebungen
http://www.deportation-alliance.com

Kein Mensch ist illegal
http://www.contrast.org/borders/kein/

…aktuellere Seite der Filiale in Köln
http://www.kmiikoeln.de

Antirassismus bei Indymedia
http://de.indymedia.org/antirassismus.html

Europäisches Netzwerk NoBorder
http://www.noborder.org

Forschungsgesellschaft Flucht und Migration
http://www.ffm-berlin.de

Pro Asyl
http://www.proasyl.de/

Sans Papiers
Frankreich
http://atlas.bok.net/pajol

Without papers
in Europe
http://www.noborder.org/without/index.html

Ilka Schröder zu »Festung Europa«
http://www.ilka.org/
themen/fe.html

Nicholas Busch: Ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts?, Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit, Migrations- und Asylpolitik in der EU
(Gutachten im Auftrag der PDS-Delegation in der Konföderalen Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke, GUE/NGL), Brüssel 2001, 74 Seiten
http://www.pds-europa.de/materialien/mat_busch.pdf

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