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WTO | Denkpause 1 | 23.11.99
Die neue Verhandlungsrunde der Welthandelsorganisation will die Konzernherrschaft etablieren
Mit der WTO ins neue Millennium
Ende November 1999 wird in Seattle (USA) der Ministerrat der Welthandelsorganisation WTO tagen. Nachdem unter anderem wegen des weltweiten Widerstands das Multilaterale Abkommen über Investitionen (MAI) im Oktober 1998 scheiterte, soll nun auf dieser Tagung eine weitere Runde der Liberalisierung der Weltwirtschaft zugunsten der transnationalen Konzerne (TNKs) eingeleitet werden.
[What the hell is the WTO? | Die WTO und die Sozialstandards.]
Die TNKs und die sie unterstützenden Regierungen des reichsten Drittels der Welt wollen in der sogenannten »Millennium Round« die gleichen anti-demokratischen Ziele wie im vorher zu Fall gebrachten MAI festschreiben. Sie wollen noch umfassendere Vertragswerke verwirklichen, um die geplante Konzernherrschaft in allen Ländern der Welt auf Dauer zu etablieren.
Während die USA nur das diskutieren wollen, was bei der letzten Tagung übrig blieb - die sogenannte »built-in agenda« -, fordert die EU eine umfassendere Runde, in der auch Themen wie z.B. Investitionen, Wettbewerbspolitik und Umweltschutz ihren Platz haben.
Neben den inoffiziell als Tagesordnung gehandelten Themen wie Agrarregelungen, Dienstleistungen und geistiges Eigentum, birgt die Agenda einige Gefahren:
- Das TRIPs-Abkommen über intellektuelle Rechte soll - nach den Vorstellungen der Industrienationen - so bleiben, wie es ist und nicht neu verhandelt werden. Das heißt: Patente auf Leben, Protektionismus und de facto Anreiz zu Bio-Piraterie. Und: Entwicklung durch Imitation - wodurch u.a. die USA sich schnell weiterentwickeln konnten - wird illegalisiert.
- Beim Agreement on Agriculture konnten die Industrieländer schon bei der Gründung der WTO größtenteils ihre ständig steigenden Agrarsubventionen verteidigen und gleichzeitig die Agrarmärkte der Zweidrittelwelt weiter liberalisieren. Eine Regelung übrigens, die dem Freihandelsprinzip komplett widerspricht. Statt der Landwirtschaft Unterstützung für soziale, ökologische und regionale Produktion zukommen zu lassen, sollen die bisherigen unfairen Protektionismen, die nur dem Norden zugute kommen, möglichst erhalten bleiben.
- Es könnte ein neues Investitionsabkommen auf den Tisch kommen, das - wie es auch schon für das im letzten Jahr geplatzte Multilaterale Abkommen über Investitionen (MAI) geplant war - »alle Macht den Investoren, alle Verpflichtungen den Regierungen gibt und keine Rechte bei den BürgerInnen läßt« (Susan George in www.tni.org/george/ index.htm).
Für den Ablauf der Verhandlungen gibt es verschiedene Szenarien:
Entweder es gibt eine komplette neue Handelsrunde, was ein weiteres, schnelles Voranschreiten der Neoliberalisierung im Rahmen der WTO zuläßt. Oder - was auch passieren könnte - eine Runde, die nicht allumfassend ist, aber dennoch verschiedene Themen anspricht und schließlich vetraglich festschreibt. Unwahrscheinlicher ist, daß mensch sich nicht auf den Einstieg in eine Handelsrunde einigen kann, aber trotzdem weiterverhandelt.
Fast schon ein Traum hingegen wäre gar keine Runde, und auch keinerlei Verhandlungen. Zuerst müßten nämlich die Auswirkungen der letzten Welthandelsrunde ausführlich und auf alle Gesellschaftsbereiche bezogen ausgewertet werden. Dabei würde das bestätigt werden, was viele WTO-KritikerInnen seit Jahren sagen: Die WTO-Regelungen bringen den Transnationalen Konzernen massive Vorteile, während der Rest der Welt je nach Herkunft, Geschlecht und sozialer Schicht jeweils wenig bis extrem viel in diesem Prozeß verliert - gesundheitlich wie sozial, an demokratischer Mitbestimmung wie ökologisch, wirtschaftlich und politisch.
Wer die völlige Autarkie ablehnt, also auch weltweiten Handel in irgendeiner Weise gestalten will, wird sich auch für Regelungen des globalen Handels aussprechen. Zuerst ist meiner Meinung nach die Grundsatzfrage zu stellen: Welchen Sinn soll der Handel haben? Eng angelehnt an die Frage nach dem Zweck des Wirtschaftens sind sich hier viele WTO-GegnerInnen einig. Die Deckung der Grundbedürfnisse aller Menschen muß im Vordergrund stehen.
Dafür brauchen wir natürlich eine ganz andere Welthandelsorganisation: Eine, die sich ganz anderen Prinzipien verpflichtet. Der erste Schritt wäre also das letzte der oben aufgeführten Szenarien: Keine neue Handelsrunde. Dann müssen alle internationalen Vereinbarungen auf einem transparenten und wirklich demokratischen System beruhen. Ein Verständnis, daß unter ungleichen Handelspartnern gleiche Regeln nie Gerechtigkeit bringen können, ist dringend erforderlich. Danach müßte es als ersten Schritt eine umfassende und sofort greifende Entschuldung geben, die sich nicht mit ein paar Milliarden Euros zufrieden gibt.
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What the hell is the WTO?
Name: Welthandelsorganisation oder World Trade Organisation
Wer: 134 Mitgliedsstaaten
Wann: Gegründet 1994
Wie: Prinzip bei Abstimmungen: »1 Staat = 1 Stimme«, trotzdem funktionieren die Sitzungen sehr undemokratisch und sind oft nur die Bühne für Handelskämpfe zwischen USA und EU, bei denen die sogenannten Entwicklungsländer keine Stimme haben
Was: Viele Abkommen unter dem Dach der WTO legen die Spielregeln für das globale »Liberalisierungsprojekt« fest. Die wichtigsten Abkommen sind zuständig für Warenverkehr (WTO-Vorgängerin GATT), Dienstleistungshandel (GATS - übrigens inclusive der Bereiche Bildung, Gesundheit und Umwelt), die »Sicherung« der geistige Eigentumsrechte (TRIPs), handelsbezogene Investitionsmaßnahmen (TRIMs) sowie die Landwirtschft (AoA).
Prinzipien: Alle Abkommen unterliegen den obersten Prinzipien der WTO: Die Meistbegünstigungsklausel und die Inländerbehandlung besagen im Grunde beide, daß alle Handelsvorteile, die ein WTO-Mitgliedsstaat einem anderen Land (ob Mitglied bei der Welthandelsorganisation oder nicht) oder inländlische Unternehmen/Personen gewährt, auch auf alle anderen WTO-Staaten anzuwenden sind - und zwar »unverzüglich und bedingungslos«.
Damit etwa sind alle Boykottmöglichkeiten wegen unökologischer, unsozialer oder menschenverachtender Produktionsweise per WTO-Abkommen verboten.
Streit: Die Jury ist Legislative und Judikative der WTO in einem - Gewaltenteilung war noch nie die Spezialität von Industrie und Handel. Entscheidungskriterium bei Handelsstreitigkeiten ist für dieses Weltwirtschftsgericht einzig und allein der Freihandel. Damit besteht zu allen nicht-WTO-konformen Regelungen ein immanenter Widerspruch - ob das die nationale Gesetzgebung betrifft oder sich auf internationale Sozial-, Gesundheits- und Umweltstandards bezieht.
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Die WTO und die Sozialstandards.
Sozialstandards würden bedeuten, daß sich alle WTO-Mitglieder darauf einigen, z.B. per Zwangsarbeit hergestellte Produkte nicht zu handeln. Die Idee ist aber noch sehr vage. Hieße diese Klausel etwa nur, daß WTO-Länder die davon betroffene Ware nicht zwingend kaufen und verkaufen müssen oder wäre die Regel als ein Verbot jeglichen Handels mit unsozialen Produkten einzustufen? Es liegt kein fertiges Konzept auf dem Tisch, erstmal geht es nur darum, ob dieses Thema überhaupt behandelt wird.
Die meisten Länder des Südens lehnen Sozialstandards ab - wenn überhaupt, dann sollten sie innerhalb der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO, Unterorganisation der UN) geregelt werden. Sie befürchten, daß sich die Industriestaaten über den Umweg Sozialstandards nur neue einseitige Handelsvorteile erschleichen wollen. So könnten sie andere Märkte für die heimischen Produkte öffnen, sich selbst aber abschotten.
Auch von VertreterInnen der deutschen Regierung ist zu hören, daß die sogenannten Entwicklungsländer die Schuldigen seien, sollte kein Abkommen bezüglich dieser Standards zustande kommen. Hier drängt sich der Eindruck auf, es geht lediglich um die Inszenierung eines Propagandaschwindels.
Gerade in den USA geht es neuerdings bei einer äußerst globalisierungskritischen Öffentlichkeit für die Regierung darum, die Forderung der Industrieländer nach Sozialstandards besonders laut zu präsentieren. Die Frage stellt sich, ob die Sozialstandards wirklich durchgesetzt werden sollen oder ob sie vielleicht nur Verhandlungsmasse darstellen, die später für ein anderes Zugeständnis der Zweidrittelwelt von der Tagesordnung zu nehmen ist.
Das eigentliche Problem der »Entwicklungsländer« sind weiterhin die Schulden. Mexiko machte bei den Gründungsverhandlungen der NAFTA (North American Free Trade Association, Freihandelszone zwischen Kanada, Mexiko und den USA) klar, daß es durchaus zur Verankerung von Sozialstandards bereit wäre, wenn es einen Schuldenerlaß für Mexiko gäbe. Die Schulden zwingen Mexiko nämlich permanent dazu, alle nur möglichen Direktinvestoren ins Land zu holen - wie ungünstig die Bedingungen für Mexiko auch immer sein mögen.
Zu diesem Zugeständnis waren aber weder die USA noch Kanada bereit - und deswegen wurden auch keine Sozialstandards im NAFTA-Abkommen aufgenommen.
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