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Neue Medien | Denkpause 1 | 23.11.99
Der gute Geist am Ende des Jahrhunderts?
Neue Medien
Vernetzung ist der Begriff unserer Zeit. Auch dieser Artikel soll zusammenfügen, was auf den ersten Blick vielleicht nicht zusammen gehört. Im Jahr 2000 steht das Thema »Neue Medien« im Zentrum meiner Aktivitäten im Europäischen Parlament. Um einen Einstieg in dieses Thema zu bekommen, habe ich versucht, eine Brücke zu schlagen zwischen ArbeitnehmerInnensituation und der Börse, sowie dem Schwarzen Freitag und den Möglichkeiten der Politisierung des Themas.
[Ilka Schröder mischt mit]
Viel wird dieser Tage geschrieben über das angebrochene Multimediazeitalter und die aktuellen Veränderungen, die gerne mit denen der Industriellen Revolution verglichen werden. Doch nicht nur die technologischen Fortschritte gleichen sich, auch die Abhängigkeitsverhältnisse sind ähnlich.
Während aber im 19. Jahrhundert die ArbeiterInnen zu massiver körperlicher Verausgabung gezwungen wurden, manifestiert sich die Ausbeutung heute in subtileren Gewändern. Die harte körperliche Arbeit ist weitestgehend technisch gelöst.
Die fesselnden Bindungen bestehen jetzt auf der geistigen Ebene: Die ArbeitnehmerInnen werden kreativ eingebunden, die Unternehmensideologie und die Identifikation mit dem institutionellen Arbeitgeber spielt eine immer größere Rolle. Durch geschickte Formen der Unternehmensteilhabe und des »Unternehmenspatriotismus« werden die Lohnabhängigen und ihr intellektuelles Potential stark an ihre Firma gebunden. Die kritische Reflexion über die gesellschaftlichen Auswirkungen der erstellten Ware oder Dienstleistung kann kaum erfolgen. Eine solche Kritik würde in der »Der Job ist alles«-Welt die eigene Existenz in Frage stellen. Während früher die Unterdrückungsmechanismen deutlich sichtbar waren, aber physisch kaum Kraft für Proteste oder Aufbegehren übrig blieb, werden nunmehr die Mechanismen der Fremdbestimmung nicht mehr als solche erkannt.
Die postfordistische (1) Gesellschaft ist stark technisch geprägt, und das im überwiegenden Teil im Bereich der Neue Medien. Doch welche Auswirkungen hat diese »Neue Zeit« auf das alltägliche Leben der Menschen in Europa? Und welche Entwicklungen der letzten Jahre sind tatsächlich eine Bereicherung und welche sind der sprichwörtliche Fluch?
Die Technologiebegeisterung dieser Tage kennt keine Grenzen. Fast stündlich wird von neuen Entwicklungen oder Entdeckungen berichtet, die unser Leben schöner, schneller und einfach besser machen sollen. Das läßt sich besonders gut an der Börse beobachten.
Der Anlageboom der späten neunziger Jahre an den Börsen dieser Welt basiert auf der Annahme, daß mit den Neuen Medien »alles möglich« ist. Dies spiegelt sich in den Aktienkursen wieder. Hoffnungslos überbewertet ist der Neue Markt. Es gibt nicht wenige, bis in die Redaktionshallen des Handelsblattes, die die heutige Situation mit den Monaten vor dem großen Börsencrash im Jahre 1929 (Schwarzer Freitag) vergleichen. Auch damals war der Welthandel einer unglaublichen Technikeuphorie verfallen. Denn das Radio stellte für damalige Verhältnisse die Welt auf den Kopf. Diese Euphorie löste sich quasi selber aus, denn Aktien des »Neuen Mediums« Radio konnten sich selber promoten. Es liefen täglich Werbespots, die auf die Vorzüge der Aktien hinwiesen und Kleinanleger zum Kauf der Papiere verführten. Heute tut das Internet nichts anderes. Das Ende vom Lied in den 20ern ist bekannt, innerhalb einem Tag stürzten die Kurse ins Bodenlose, Millionen von Anlegern waren ihr Geld los.
Heute scheint der gesellschaftliche Fortschritt nur noch in der Hand von SoftwareentwicklerInnen oder der Computerbranche zu liegen. Wer die möglichen negativen Auswirkungen dieser Entwicklung jedoch anspricht, wird einer »technikfeindlichen« Verweigerungshaltung bezichtigt. Damit ist der Feind markiert und mensch kommt um eine genaue Analyse der Kritik herum.
Dem setze ich eine konstruktive, gerade weil kritische Auseinandersetzung entgegen. Technikfeindlich ist das allemal nicht: Ob freier Zugang zum Internet oder die Veröffentlichung der Quellcodes von Software - es gibt viel Bedarf an einer linken Positionierung zum Internet. In vielen Bereichen bieten sich Ansatzpunkte für emanzipatorische Politik. Ich werde mich einmischen, um die hohen Risiken, die mit der unsagbaren Medieneuphorie einhergehen, nicht völlig unbelichtet zu lassen. Doch nicht die Rettung der Börse vor Kurseinbrüchen ist mein Ziel, sondern ich will die virtuelle mit der tatsächlichen Entwicklung vergleichen. Neben dem hohen gesamtwirtschaftlichen Risiko steht für mich die genaue Betrachtung der gesellschaftlichen Chancen und Risiken im Vordergrund - von der Ökonomie über die Ökologie bis zu diversen sozialen Auswirkungen.
Ilka Schröder fordert:
Ich werde bei den Neuen Medien vor allem so aktiv sein:
- medienpolitische Aktionen initiieren und unterstützen (Stichwort: Echelonaktionstag (2))
- Veranstaltungen organisieren, um das Thema zu politisieren
- aktuelle Informationen verbreiten, linke Diskussionen anheizen und mit Informationen speziell aus dem Parlament, generell von der Europaebene bestücken
- Förderung nichtkommerzieller Kommunikationsmittel
- Einsatz gegen jede Art der Zensur und der Manipulation des Internets
- Verknüpfungspunkte zwischen Biotechnik und Neuen Medien herausfiltern, diskutieren, veröffentlichen (Stichwort: KI Künstliche Intelligenz)
- Auswirkungen der Neuen Medien auf die Gesellschaft auswerten (Stichwort: Neue Arbeitsverteilung, Gesundheit, Ökologie)
Anregungen und Ideen nehmen wir gerne entgegen. Sie stellen eine unersetzliche Informationsquelle für unser Büro dar, also seid nicht schüchtern. Get in contact!
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(1) Postfordismus
Unter dem ursprünglichen Fordismus versteht mensch die klassische Fliesbandarbeit die in den 20er Jahren eingeführt wurde.Seit den letzten 10 Jahren zeichnet sich eine neue Phase - der Postfordismus - ab. Informations- und Kommunikationstechnologien sowie veränderte Arbeitsorganisation und neue Managementkonzepte verändern die betriebliche Arbeit grundlegend. Deswegen spricht man immer wieder von einem Strukturwandel der
Arbeit.
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(2) ECHELON
Echelon ist ein von den Geheimdiensten der Staaten USA, Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland betriebenes Abhörsystem für das Internet. Dem Europäischen Parlament liegt seit Mai 1999 ein Bericht über Echelon vor. Echelon sammelt Informationen über Privatpersonen, internationale Institutionen und Wirtschaftsunternehmen. Oft führte die Weitergabe der Erkenntnisse aus der Spionage zu Wettbewerbsnachteilen gegenüber US-Unternehmen.
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