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Menschenrechte | Denkpause 1 | 23.11.99
Waffenexporte in die Türkei
Ein Panzer für die Menschenrechte
Die Europäische Union hat sich entschieden, die Türkei mit den anderen EU-Beitrittskandidaten ebenbürtig zu behandeln. Die deutsche Regierung hat das mißverstanden: Sie leitet daraus einen Freibrief für ungebremste Waffenlieferungen ab. Trotz der schweren Erdbeben im Jahr 1999 und der mangelnden Katastrophenhilfe hat die Türkei genug Geld für ein gigantisches Aufrüstungsprogramm. In den nächsten zehn Jahren sollen 100 Milliarden Dollar in die Armee gesteckt werden.
[Ilka Schröder fordert | Links]
Die friedliebende Öffentlichkeit regt sich über die Panzerlieferung auf. Dabei ist sie nur eine konsequente Fortführung der deutschen Militärpolitik.
Rüstungslieferungen der BRD an die Türkei sind nichts Neues. Zwischen 1964 und 1995 hat Deutschland der Türkei Rüstungsgüter für 6,5 Milliarden DM exportiert. Nur die USA lieferten mehr. Obwohl das Panzergeschäft die erste Neuentscheidung der rot-grünen Bundesregierung ist, sind Rüstungsexporte an die Türkei nichts Außergewöhnliches. Im Dezember 1998 wurde der modernste Fregattentyp Europas an die türkischen Militärs ausgeliefert.
Manche BefürworterInnen oder VerharmloserInnen des Panzergeschäftes behaupten, in Kurdistan ließen sich gar keine Panzer einsetzen. Wohl jede Kurdistan-Delegation bringt Fotos von deutschen Waffen mit, die im Kampf gegen KurdInnen eingesetzt werden.
Vor etwa drei Jahren wurden aus Deutschland schwere Zugmaschinen von Daimler geliefert. Sie sollten dazu dienen, Panzer in unwegsames Gelände zu transportieren. Laut »Kurdistan-Rundbrief« wurden schwere Panzer beim Beschuß kurdischer Städte wie Lice oder Sirnak eingesetzt. Die großen kurdischen Städte Diyarbakir, Urfa und die wichtigsten kurdischen Straßen liegen in einem Gebiet, in dem sich die Panzer sehr gut einsetzen lassen. Gemäß dem Standard, den Deutschland mit dem militärischen Angriff auf Jugoslawien gesetzt hat, müßten angesichts der Menschenrechtsverletzungen eigentlich deutsche Tornados zur Bombardierung von Ankara starten. (Diese Forderung die halb ernst gemeint in diversen Kommentaren zum Kosovo-Krieg genannt wurde, ist natürlich falsch.)
Aber der Kampf gegen die KurdInnen ist nicht der einzige Konflikt, für den die Türkei ihre Armee in einem gigantischen Modernisierungsprogramm aufrüstet. Vom Irak will die Türkei das Gebiet Südkurdistan zurück, weil sie seit dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches glaubt, einen Anspruch darauf zu haben. Dies versucht sie durchzusetzen, indem sie »Sicherheitszonen« fordert. Hier wurden schon mehrfach Panzer eingesetzt, die bis zu 150 km in irakisches Gebiet vorgedrungen sind. Mit dem Irak und auch Syrien gibt es Konflikte wegen der Wasserzufuhr. Die Türkei hat die beiden Staaten durch das Aufstauen von Euphrat und Tigris von über 70 Prozent ihres Wasserbedarfes abgeschnitten.
Fast unbeachtet von der Weltöffentlichkeit entsteht noch eine andere Front - in Richtung Kaukasus und Zentralasien. Manche türkische Politiker träumen schon von einem Reich bis an die chinesische Mauer. In den Sezessionskonflikten mit Rußland hat sich die Türkei stets tatkräftig auf der Seite der Sezessionisten eingemischt. Türkische Militärs unterstützten aserbaidschanische, tschetschenische und daghestanische Kämpfer. Das Objekt der Begierde sind Erdöl- und Erdgasgebiete und andere Rohstoffe, auf welche die Türkei bisher keinen Zugriff hat.
Und was hat der Probepanzer Leo mit dem Kosovo-Krieg zu tun? Der NATO-Partner Türkei gewinnt für die gesamte westliche Welt an Bedeutung. Leo ist gewisserweise eine Versicherung gegen eine von EU und NATO unabhängige - oder gar von Rußland beeinflußte - Entwicklung im Balkan und im ganzen Mittelmeerraum.
Schon seit einiger Zeit ist das auch den Militärstarategen bekannt: In der Schriftenreihe des Reservistenverbandes der Deutschen Bundeswehr e.V. heißt es schon 1997: »Die Türkei wurde vom ´Flankenstaat´ zum ´Frontstaat`, der an aktuelle Krisenherde wie den Kaukasus und den Nahen Osten unmittelbar angrenzt.«
Bei aller Kritik an der Menschenrechtslage in der Türkei sollten wir aber nicht vergessen, daß Rüstungsgüter nur zu dem Zweck hergestellt werden, möglichst effektiv Menschen abzuschlachten und Landstriche unbewohnbar zu machen. Es ist daher problematisch, allein auf die Türkei zu schauen, und Menschenrechtsverletzungen im eigenen Land nicht zu registrieren. Auch in Deutschland werden Antimilitaristen, die sich weigern, ihren Kriegsdienst zu leisten, zu Knaststrafen verurteilt. Menschen, die anläßlich des Kosovo-Krieges aufgerufen haben, aus allen kriegsführenden Armeen zu desertieren, stehen vor Gericht. Bei Waffenexporten über Menschenrechtsverletzungen zu reden, ist eigentlich zynisch. Waffenproduktion, -exporte und -importe sind Menschenrechtsverletzungen - egal von wem an wen.
Rüstungsproduktion muß weltweit geächtet werden. Auf dem Weg dahin dürfen wir - auch entgegen der Koalitionsräson oder Arbeitsplatzargumenten der IG Metall - auf keinen der Beteiligten Rücksicht nehmen. Menschen die bei der Produktion von Rüstungsgütern mitarbeiten - von der Politikerin, die im Koalitionsausschuß dem Export zustimmt, bis hin zum Arbeiter am Fließband, der die Mordstechnologie herstellt, weil er mit seiner Familie nicht von Sozialhilfe leben will - schaffen die Voraussetzung dafür, daß die von ihnen hergestellten Waffen bestimmungsgemäß eingesetzt werden.
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Ilka Schröder fordert:
- Verbot der Produktion von Rüstungsgütern durch das Grundgesetz
- Jede Hand - insbesondere jede deutsche-, die Waffen anfasst, soll abfallen (frei nach F.J. Strauß)
- Auflösung der NATO, Abschaffung der Bundeswehr
- Keine Bomben auf Ankara
- Anerkennung von Desertion als Asylgrund
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Links zum Thema
kurdistan aktuell
www.medico.de
Kurdistan Rundbrief
www.kurdistan-rundbrief.de
Netzwerk Friedenskooperative
www.friedenskooperative.de
DFG-VK
www.dfg-vk.de
Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär
www.kampagne.de
Zeitschrift Soldat und Technik
www.soldat-und-technik.de
Bundeswehr
www.bundeswehr.de
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