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Ilka Schröder

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Asylpolitik | Denkpause 2 | 13.12.99

Europäische Asylpolitik

Tampere: Das EU-Boot ist voll?

Viele feierten die Ergebnisse des Europäischen Rates im finnischen Tampere als Erfolg. Die Nichtregierungsorganisationen (NRO) schreiben es ihrer eigenen Lobbyarbeit zu, daß die Genfer Flüchtlingskonvention Grundlage der europäischen Asylpolitik bleibt. In Wirklichkeit entwickelt sich Europa immer mehr zu einer Festung, die sich gegen alles nicht kapitalkräftige Fremde abschottet.

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Viele feierten die Ergebnisse des Europäischen Rates im finnischen Tampere als Erfolg. Die Nichtregierungsorganisationen (NRO) schreiben es ihrer eigenen Lobbyarbeit zu, daß die Genfer Flüchtlingskonvention Grundlage der europäischen Asylpolitik bleibt.
In der Schlußerklärung des Ratstreffens heißt es nämlich, der Europäische Rat »ist übereingekommen, auf ein Gemeinsames Asylsystem hinzuwirken, das sich auf die uneingeschränkte und allumfassende Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention stützt, wodurch sichergestellt wird, daß niemand dorthin zurückgeschickt wird, wo er der Verfolgung ausgesetzt ist ...«. Laut Pro Asyl ist dies »vor dem Hintergrund der Debatte über das Strategiepapier aus der österreichischen Präsidentschaft im letzten Jahr eine erfreuliche und wichtige Klarstellung.«
Der Europäische Flüchtlingsrat (ECRE), der 68 in der Flüchtlingsarbeit tätige NRO aus 25 europäischen Ländern vertritt, begrüßt die Schlußfolgerungen des Europäischen Rates von Tampere. Er sieht sich ermutigt durch das in den Schlußfolgerungen des Rates geäußerte Bekenntnis zum Recht auf Asyl und durch den dort gegebenen Impuls für die Entwicklung einer einheitlichen Asylpolitik.
Schaut man sich die weiteren Bestimmungen der Schlußerklärung und die Realität an, kann man die positive Einschätzung allerdings nicht teilen. Vielmehr entsteht der Verdacht, daß viele der auf dem »Gegen-Gipfel« vertretenen NRO selbst Geschäfte mit der Abwehr von Flüchtlingen machen. Die europäische Asylpolitik zielt nämlich darauf, innerhalb der EU die Regelungen zu vereinheitlichen und die Außengrenzen immer stärker abzuschotten. Rechtskräftige Entscheidungen anderer Staaten sollen in anderen EU-Ländern anerkannt werden, pauschal soll jedes EU-Land als sicherer Drittstaat gelten. Man kann sich vorstellen, was das bedeutet, wenn die Türkei Mitglied der EU ist. Aber auch Deutschland wurde schon mehrfach von britischen Gerichten als unsicheres Asylland eingestuft, da in der BRD nichtstaatliche Verfolgung nicht anerkannt wird. Die Flüchtlinge von außerhalb Europas werden bereits an den Außengrenzen abgefangen.
Während die »Medicins sans Frontiers« (Ärzte ohne Grenzen) den Nobelpreis dafür bekommen, daß sie Flüchtlinge von Europa fernhalten, werden SchleuserInnen weiter kriminalisiert. »Der Europäische Rat ist entschlossen, die illegale Einwanderung an ihrer Wurzel zu bekämpfen, insbesondere durch Maßnahmen gegen diejenigen, die Zuwanderer einschleusen…«. Ein seltsames Verständnis von Wurzel haben die Damen und Herren im Europäischen Rat. An den Grenzsicherungsanlagen der EU hört in den Köpfen der Ratsmitglieder die Suche nach Gründen für Fluchtbewegungen offenbar auf. Kapitalistische Ausbeutung und Waffenexporte der Industrieländer in alle Welt kommen in der Abschlußerklärung jedenfalls nicht vor.
Am Vorabend des Treffens von Tampere genehmigte die italienische Regierung eine Summe von umgerechnet rund 23 Millionen Euro (45 Milliarden Lire) für die Errichtung von Infrarot-Kameras am Canal d`Otranto. Nach Aussagen der montenegrinischen Polizei ertranken in diesem Kanal in der Nacht vom 15. auf den 16. August dieses Jahres mindestens 41 Romas.
Das Europäische Parlament hat im November - natürlich entgegen meiner Stimme - der Einrichtung einer elektronischen Kartei zum Vergleich der Fingerabdrücke von AsylbewerberInnen zugestimmt. Auch die Abdrücke illegalisierter EinwandererInnen, zum Beispiel solcher, die beim Grenzübertritt erwischt werden, sollen verglichen werden können. Menschen, die in Europa Schutz vor politischer Verfolgung oder wirtschaftlicher Not suchen, haben damit noch weniger Chancen, unbehelligt in der EU zu leben bzw. in mehreren Staaten einen Asylantrag zu stellen. Es wird sich zeigen wie viele AsylbewerberInnen sich in ihrer Not die Fingerkuppen abschmirgeln werden.

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[Asylpolitik] Ilka Schröder fordert:

  • Jeder Mensch hat das Recht, selbst zu entscheiden, wo und wie er/sie leben will. Der Regulierung von Migration und der systematischen Verweigerung von Rechten steht die Forderung nach Gleichheit in allen sozialen und politischen Belangen entgegen. Die Menschenrechte jeder Person sind zu respektieren, unabhängig von Herkunft und Papieren.
  • Deshalb rufe ich dazu dazu auf, MigrantInnen bei der Ein- oder Weiterreise zu unterstützen. Verschafft MigrantInnen Arbeit und Papiere, um ihnen medizinische Versorgung, Schule und Ausbildung, Unterkunft und materielles Überleben zu gewährleisten.

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Zum Weiterlesen:

NRO (oder englisch NGO): Nichtregierungsorganisation, was nicht bedeutet, daß diese Regierungen automatisch kritisch gegenüberstehen. Einige NRO wurden von der Regierung oder der Industrie gegründet, viele andere werden über finanzielle Zuwendungen an diese gebunden. Auch Wirtschaftsverbände selbst sind NRO.

Genfer Konvention:
Die Konvention enthält eine abstrakte und eine allgemein formulierte Definition des Flüchtlingsbegriffs und legt die rechtliche Stellung des Flüchtlings fest. Sie trat 1954 in Kraft und wurde von über 120 Staaten ratifiziert.

»Ihr sollt wissen, daß kein Mensch illegal ist. Das ist ein Widerspruch in sich. Menschen können schön sein oder noch schöner. Sie können gerecht sein oder ungerecht. Aber illegal? Wie kann ein Mensch illegal sein?« (Elie Wiesel)


Kampagne »Kein Mensch ist illegal«
www.contrast.org/borders/kein/hintergrund/frame.html

Schlußerklärung von Tampere
www.proasyl.de/texte/mappe/1999/20/anlage1.htm

Jungle World zu NRO in Tampere
www.jungle-world.com/_ 99/44/21b.htm

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