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Ilka Schröder

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Welthandel | Denkpause 6 | 17.04.00

EU-Profit verschärft in Mexiko soziale Gegensätze

Freihandel grenzenlos

Die weltweite Durchsetzung des Freihandels wäre mit dem Scheitern der WTO-Konferenz von Seattle fast ins Stocken geraten. Doch auf der Ebene der Europäischen Union tut sich etwas: Ein »Handels- und Partnerschaftsabkommen« nach dem anderen schließt die EU mit Entwicklungs- bzw. Schwellenländern ab. Zuletzt war Mexiko an der Reihe. Solche Abkommen huldigen dem Ziel des freien Handels und der Ideologie des Neoliberalismus, dienen den europäischen Großunternehmen - und verschärfen die sozialen Gegensätze in den »Partnerstaaten« Europas. Dennoch sollen weitere folgen.

[Ilka Schröder fordert | Beispiel Südafrika | Weitere Informationen]

Im Jahr 1492 fiel der Seefahrer Christoph Kolumbus in Lateinamerika ein. Gut 500 Jahre später bläst Europa erneut zum Angriff. Diesmal aber nicht mit christlichem Fundamentalismus, sondern mit dem »New Beetle« und anderen Errungenschaften des 21. Jahrhunderts.

Die Europäische Union hat am 23. März 2000 in Lissabon ein Freihandelsabkommen mit Mexiko abgeschlossen. Es ermöglicht europäischen Unternehmen, ihre Waren zollfrei nach Mexiko zu exportieren: Autos und Ersatzteile, Chemie-, Pharma- und Elektronikprodukte stehen ganz vorne auf der Liste. Außerdem können sich Konzerne leichter in Mexiko niederlassen, dort produzieren und ihre Waren auf dem nord- und lateinamerikanischen Markt verkaufen. Das mittelamerikanische Land wird zur verlängerten Werkbank der europäischen Industrie.

Der EU-Mexiko-Vertrag ist, wie EU-Handelskommissar Lamy stolz verkündete, das weitgehendste und »umfangreichste Abkommen«, das die EU jemals ausgehandelt hat. Auch für Mexiko spielt es eine besondere Rolle. Neben Israel ist es nun das einzige Land, das sowohl mit den USA als auch mit der EU ein Freihandelsabkommen hat. Der mexikanische Präsident Ernesto Zedillo, dessen Regierung zur Freude der EU und der USA eine strikt neoliberale Wirtschafts- und Handelspolitik verfolgt, sagte: »Wir können den Handel zwischen Europa und Mexiko in einigen Jahren vervielfachen.« Zedillo erhofft sich von dem Abkommen mit der EU auch einen Image- und Stimmengewinn. Am 2. Juli 2000 wählen die MexikanerInnen einen neuen Staatspräsidenten - genau einen Tag nach dem vereinbarten Inkrafttreten des Abkommens. Es ist zu erwarten, daß die regierungstreuen Medien die Beziehungen zur EU nochmal als Glanzleistung des mexikanischen Präsidenten zelebrieren werden.

In den zehn Jahren nach Inkrafttreten des Abkommens sollen 95 Prozent des Handels zwischen beiden Partnern liberalisiert werden. Bis 2003 will Mexiko 52 Prozent seines Industriesektors öffnen, die restlichen 48 Prozent bis 2007. Die EU öffnet sich gegenüber Mexiko vollständig - mit Ausnahme des Landwirtschaftssektors, der weiterhin gegen Konkurrenz abgeschottet bleibt. Daneben ist Liberalisierung im Dienstleistungs- und Investitionsbereich, sowie im öffentlichen Beschaffungswesen vorgesehen. Auch geistige Eigentumsrechte und Ursprungsbezeichnungen sollen wechselseitig anerkannt und geschützt werden. Damit beinhaltet der Vertrag alle Elemente, die Europa in Seattle im Rahmen der Welthandelsorganisation global durchsetzen wollte. Was die EU dort nicht schaffte, zieht sie jetzt mit »individuellen Partnern« durch. Und das ohne jede Bestimmung zum ArbeitnehmerInnenschutz. Gerade hier wären Verhandlungen aber sinnvoll gewesen. Mexiko ist bekannt für die sogenannten maquiladoras (Veredelungsbetriebe) und die dort herrschenden miserablen Arbeitsbedingungen. Schwangere Frauen werden entlassen, Gewerkschaftsmitglieder eingeschüchtert und bedroht. Kündigungsschutz, Sozialversicherungen und Mutterschaftsurlaub sind weitgehend unbekannt.

Daß die europäische Seite auf Verhandlungen über Arbeits- und Sozialnormen verzichtete, macht deutlich, um was es ihr wirklich ging - um Handels- und Profitinteressen. Mexiko ist das Einfallstor der EU in den gesamten NAFTA-Raum, also auch in die USA und Kanada. Innerhalb der Freihandelszone NAFTA (North American Free Trade Area) können Waren zollfrei die BesitzerInnen wechseln. Deutsche Automobilhersteller können mit in Mexiko hergestellten Autos künftig den US-Markt erobern oder sie - viel gewinnbringender als früher - nach Europa zurückexportieren. Die AktionärInnen des Unternehmens Volkswagen, das seinen »New Beetle« wegen niedriger Löhne (durchschnittlich 1,3 Dollar pro Stunde) und der Nähe zum US-Markt nur in Mexiko produziert, werden sich freuen. Durch den Wegfall der Zölle können die Profite steigen.

Das NAFTA-Abkommen aus dem Jahr 1994 hat Mexiko geholfen, seine Exporte zu verdoppeln. Noch stärker stiegen allerdings die Importe. Mexiko weist inzwischen das höchste Handelsbilanzdefizit ganz Lateinamerikas auf. Vor allem transnationale Großunternehmen profitieren von der Handelsliberalisierung, keinesfalls aber die in Mexiko lebenden Menschen. Während 1984 etwa 15 Prozent der MexikanerInnen in extremem Elend lebten, sind es heute (nach sechs Jahren NAFTA) 28 Prozent. Der Freihandel mit Europa wird diese Entwicklung weiter verschärfen, zumal das Abkommen mit der EU über die Bestimmungen von NAFTA noch hinausgeht.

Doch daß der Freihandel der mexikanischen Bevölkerung nützlich sein könnte - davon geht in der EU sowieso kaum jemand aus. Das Europäische Parlament formulierte treffend und ohne Umschweife, um was es geht: »Ziel dieses Abkommens ist die Schaffung eines neuen Rahmens, der es der EU ermöglicht, auf dem mexikanischen Markt stärker präsent zu sein und künftig auf gleicher Stufe mit den Ländern konkurrieren zu können, mit denen Mexiko Freihandelsabkommen geschlossen hat.« Keine Rede ist davon, daß mexikanische Nichtregierungsorganisationen das Abkommen als eine Gefahr für die ärmeren Bevölkerungsgruppen und kleinere Unternehmen betrachten. Sie hatten den Senat ihres Landes aufgefordert, das Abkommen nicht zu unterzeichnen. Im Europaparlament stimmten nur einzelne Abgeordnete - vor allem Grüne und Mitglieder der Vereinigten Linken - gegen den Vertrag. Eine große Mehrheit hatte nichts gegen ihn einzuwenden. Die sozialdemokratische Fraktion wollte ihrer in Mexiko regierenden neoliberalen Schwesterpartei den Freihandelsvertrag offenbar nicht vermasseln und stimmte kurzerhand zu. Folglich ist auch nicht zu erwarten, daß sich das Parlament bei künftigen Entscheidungen über weitere Freihandelsprojekte als kritischer erweisen wird.

Die nächsten Ziele sind schon gesteckt. Bis 2010 soll eine »Euro-Mediterrane Freihandelszone« rund um das Mittelmeer entstehen, an der - vielleicht mit Ausnahme Libyens - alle nordafrikanischen Staaten von Marokko bis zum Libanon beteiligt sein sollen. Noch früher sollen die Zölle zwischen der EU und der lateinamerikanischen Wirtschaftsgemeinschaft »Mercosur« (Mercado Comun del Cono Sur) fallen. Damit entstünde die größte Freihandelszone der Welt. Die Außenwirtschaftspolitik der EU macht sich die wenige große Freihandelsblöcke auf auf dem Globus zu strategischen Partnern - zum Profit der europäischen Konzerne. Angesichts der durchschlagenden Wirkung des Freihandels würde der Eroberer Kolumbus vor Neid erblassen.
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[Freihandel] Ilka Schröder fordert:

  • Die Welthandelsordnung muß eine sozial gerechte, ökologische und friedliche Entwicklung ermöglichen.
  • Internationale Abkommen müssen also den Menschen dienen, nicht den Konzernen.
  • Bei Handelsabkommen zwischen ungleichen Vertragspartnern müssen die Belange des schwächeren Partners oberste Priorität haben.
  • Die EU darf keine weiteren Freihandelsabkommen abschließen, bevor das Welthandels- und -wirtschaftssystem nicht grundsätzlich verändert wird.

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Zum Weiterlesen:

NAFTA
Die North American Free Trade Area (NAFTA) wurde 1994 gegründet. Die USA, Mexiko und Kanada sind an dieser Freihandelszone beteiligt. Für Mexiko hat sie einen massiven Anstieg der Exporte gebracht. Zu mehr Wohlstand oder sozialer Sicherheit für die Bevölkerung ist es dagegen nicht gekommen. Weite Teile der mexikanischen Mittelschicht verarmten in den letzten Jahren.

MERCOSUR
Der gemeinsame Markt Mercado Comun del Cono Sur (Mercosur) umfaßt Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay. Er wurde 1990 gegründet. Der Mercosur erwirtschaftet 60 Prozent des lateinamerikanischen Bruttoinlandsproduktes. Bereits heute haben zahlreiche europäische Unternehmen dominante Marktpositionen in den Mercosur-Staaten: Electricité de France (EDF) in Brasilien oder der spanische Ölkonzern Repsol in Argentinien.

Das EU-Mexiko-Abkommen im Wortlaut
europa.eu.int/comm/trade/bilateral/mexico/fta.htm

Der Bericht des Europäischen Parlaments zum EU-Mexiko-Abkommen befindet sich auf der Seite www.europarl.eu.int; Dokument Nr.:
A5-0066/2000

Der Wortlaut des EU-Südafrika-Abkommens befindet sich auf der Webseite der Generaldirektion »Entwicklung« der Europäischen Kommission:
www.europa.eu.int/comm/development/country/za_en.htm

Weitere Texte von Ilka Schröder zum Thema Welthandel
www.ilka.org/themen/wto.html

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Beispiel Südafrika

Abschiedsgeschenk für Nelson Mandela: Kurz bevor der südafrikanische Präsident im April 1999 in den Ruhestand ging, hatten sich Vertreter Südafrikas und der EU auf ein gemeinsames Freihandelsabkommen geeinigt. Innerhalb von 10 Jahren sollen demnach auf beiden Seiten Zölle und Handelsschranken abgebaut werden. Bereits jetzt zeichnen sich deswegen große Probleme ab für das Land am »Kap der guten Hoffnung«: Während südafrikanische Agrarprodukte auf dem europäischen Markt kaum eine Chance haben, drängen immer mehr EU-Erzeugnisse nach Südafrika. Weil italienisches oder spanisches Obst in den Läden am Kap oft billiger ist, als südafrikanisches, gehen Obst- und GemüseproduzentInnen bankrott; ArbeiterInnen werden arbeitslos. In Pretoria liefen Gewerkschaften Sturm gegen die entsprechenden Regelungen des Abkommens. Es gibt Studien, die in der Liberalisierung für die EU weit mehr Vorteile sehen, als für Südafrika. Dennoch sind in der Europäischen Union immer noch viele davon überzeugt, Südafrika mit dem Freihandel einen Gefallen getan zu haben.

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