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Ilka Schröder

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Menschenrechte | Denkpause 7 | 29.05.00

Ihre Nützlichkeit entscheidet:

Green Card oder Abschiebeknast?

Die einen werden von der deutschen Industrie gerufen, um die Computerbranche in Schwung zu bringen. Wer ohne Einladung kommt, wird in Abschiebeknäste gesteckt oder illegalisiert. MigrantInnen werden zunehmend nach ihrem vermeintlichen Nutzen für den Standort Deutschland sortiert: Nützlich die einen, Zumutung die anderen. Auch die EU definiert schutzsuchende Menschen jetzt offiziell als »Lasten«.

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Die »ethnischen Säuberungen« auf dem Balkan fänden in der deutschen Abschiebepraxis »auf legale Weise ihre Entsprechung«. Mit diesen Worten löste der Nobelpreisträger Günter Grass im vergangenen Jahr einen Sturm der Entrüstung aus. Von PolitikerInnen fast aller Parteien wurde er gescholten. Bundesinnenminister Otto Schily, der heute neue Helme und Fesseln für Abschiebehäftlinge testen läßt, nannte Grass' Äußerung »grotesken Unsinn«. In den Augen vieler ist der Begriff »ethnische Säuberung« im Brustton der Empörung auf die Ereignisse im Kosovo anzuwenden, nicht jedoch auf das zivilisierte Westeuropa und seine Innenpolitik.

Dabei hat Grass lediglich offen ausgesprochen, was täglich in der Bundesrepublik passiert. Allein in Berlin sitzen zur Zeit etwa 700 Menschen in Abschiebungshaft. 33.000 »AusländerInnen« wurden 1999 aus der Bundesrepublik per Flugzeug abgeschoben. Im Gegenzug sollen 20.000 Menschen ab August per »Green Card« in die Bundesrepublik geholt werden. Sie haben etwas, was die AbschiebungskandidatInnen nicht haben - sie sind ComputerspezialistInnen.

Obwohl keinerlei sachlicher Zusammenhang zwischen Green Card und Asylrecht besteht, stellt die gegenwärtige Politik einen her. Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber hat nichts gegen die Green Card-Politik von Rot-Grün. Aber er fordert im gleichen Atemzug die Abschaffung des Grundrechts auf Asyl, welches einen »unkontrollierten Zustrom von Armutsflüchtlingen« produziere.

Für die Abschaffung des Rest-Asylrechts legte sich letztes Jahr auch der Bundesinnenminister ins Zeug. Die Zielrichtung ist offenkundig: Es gibt heute nützliche MigrantInnen - die nämlich, die angeworben werden, um dem Industriestandort Deutschland mit ihrer preiswerten Arbeitskraft zu dienen. Bei Bedarf werden sie geheuert. Wenn die Branche sie nicht mehr braucht, werden sie wieder gefeuert. Daneben gibt es als »unnütz« stigmatisierte Menschen. Das sind diejenigen, die vor Kriegen, politischer Verfolgung oder aus wirtschaftlicher Not fliehen und nach Europa kommen. Sie werden nicht mit Arbeitsverträgen, sondern mit Arbeitsverboten empfangen. Die ihnen gewährten Sozialleistungen unterschreiten das garantierte Existenzminimum. 80,- DM monatlich plus Lebensmittelgutscheine müssen zum Überleben ausreichen.

Die neoliberale Migrationspolitik, für die die Green Card beispielhaft ist, stellt Flüchtlinge als Belastung dar, die es zu vermeiden gilt. Sie sollen daher »abgeschreckt« werden. Als Anfang Mai die algerische Asylsuchende Naimah H. am Frankfurter Flughafen nach monatelanger Haft Suizid begang, fiel Bundesinnenminister Otto Schily nur ein, daß das Flughafen-Asylverfahren nun mal »zur Abschreckung« nötig sei. Schily kümmert es nicht, daß seine Partei im Dezember 1999 beschlossen hat, »den § 18 Asylverfahrensgesetz ('Flughafenverfahren') außer Kraft zu setzen«. Kohl und Kanther waren es, die dieses und andere Instrumente der Abschreckung und Abschottung einführten - unter rot-grün bestehen sie fort. Die Situation der Flüchtlinge im Frankfurter Flughafenverfahren hat sich laut PRO ASYL sogar noch verschlimmert. Einigen Bundestagsabgeordneten und der Ausländerbeauftragten der Regierung gelingt es nur manchmal und nur mühevoll, die schlimmsten Tatbestände der deutschen Asyl- und Flüchtlingspolitik zu kaschieren. Als sich Naimah H. am Flughafen Rhein-Main erhängt hatte, forderte die grüne Parteisprecherin Antje Radcke, das sogenannte Flughafenverfahren zu verkürzen - eine merkwürdige Logik. Wenn Flüchtlinge bei ihrer Ankunft in Deutschland in den Knast gesteckt werden, ist das Unrecht. Egal, ob sie 30 Tage oder zwei Monate einsitzen müssen. Ein System, das menschenrechtswidrig ist, wird durch Verkürzung nicht besser.

Nicht nur Asyl- und Flüchtlingsorganisationen, auch die Kirchen und Wohlfahrtsverbände in der Bundesrepublik machen keinen Hehl daraus, daß sie von der Migrationspolitik der neugewählten Bundesregierung - nicht nur in Bezug auf das Flughafenverfahren - enttäuscht sind. Die EU will seit Amsterdamer Vertrag in der Asylpolitik »zuständiger« werden. So sollen etwa die einzelnen nationalstaatlichen Asylpolitiken vergemeinschaftet, also vereinheitlicht werden.

Das Europäische Parlament stimmte im April der Schaffung eines »europäischen Flüchtlingsfonds« zu. Der wohlklingende Begriff suggeriert Hilfe für ausgegrenzte und notleidende Menschen. In Wahrheit jedoch ist er ein alter Hut. EU-Mittel für Maßnahmen der Flüchtlingspolitik gab es schon früher, aber sie waren auf drei getrennte Haushaltslinien verteilt. Diese werden nun zusammengefaßt und ein wenig aufgestockt. Fertig ist der Flüchtlingsfonds, der in der Öffentlichkeit nun als Symbol einer angeblich menschenfreundlichen EU-Asylpolitik herhalten soll. Wie jedoch die Parlamentsdebatte gezeigt hat, ging es gar nicht um Menschen, sondern um »Lasten«. Antonio Vitorino, EU-Kommissar für Innen- und Rechtspolitik, erklärte »eine gerechte Lastenverteilung zwischen den Mitgliedstaaten« zum Hauptziel des Fonds. Dahinter steckt die Idee, daß diejenigen EU-Staaten, in die aufgrund ihrer geographischen Lage oder günstiger Flugverbindungen vergleichsweise viele Flüchtlinge einwandern, für diese »Last« mit Mitteln aus dem Fonds entschädigt werden sollen. Damit sei der Flüchtlingsfonds ein »Instrument zur Bekämpung von Fremdenfeindlichkeit, Diskriminierung und Ungleichbehandlung«.

Aber kann Fremdenfeindlichkeit bekämpft werden, wenn man ihre Opfer zu »Lasten« degradiert? Der Flüchtlingsfonds fand im Europaparlament eine überwältigende Mehrheit. Nur eine handvoll Abgeordnete kritisierten in Stimmerklärungen die »Alibi-Funktion« des Fonds und brandmarkten die Abschottungspolitik der Festung Europa, an der der neue Fonds nicht das geringste ändere. Damit war der Tagesordnungspunkt Flüchtlinge erledigt. Seitdem sind Flüchtlinge »Lasten«, die »gerecht verteilt« werden sollen.

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[Menschenrechte] Ilka Schröder fordert:

  • Sofortige Abschaffung des Flughafenverfahrens und der Abschiebeknäste
  • Aufhebung aller Arbeitsverbote für Flüchtlinge
  • Wiederherstellung des Grundrechts auf Asyl
  • Flüchtlinge aufnehmen, statt Lasten verteilen
  • Grenzen öffnen und illegalisierte Flüchtlinge legalisieren

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Zum Weiterlesen:

Weitere Beiträge zur Festung Europa/Flüchtlingspolitik:
www.ilka.org/themen/weitere.html#festeu
PRO ASYL e.V.: www.proasyl.de
Landesarbeitsgemeinschaft ImmigrantInnen und Flüchtlinge der Berliner Grünen: www.gruene-berlin.de/immi
Widerstand gegen die herrschende Asyl- und Flüchtlingspolitik: www.contrast.org/borders

Europäischer Flüchtlingsfonds:
Im EU-Haushalt des Jahres 2000 wurden die gemeinschaftlichen Mittel für die Flüchtlingspolitik erstmals in einer Haushaltslinie zusammengefaßt. Davor waren sie in drei Haushaltslinien gesplittet: Aufnahme von Flüchtlingen, Integration sowie »freiwillige Rückführung«. Jetzt werden alle Ziele aus einem Fonds finanziert. Er soll eine Laufzeit von fünf Jahren haben und ist mit 26 Millionen Euro ausgestattet. Laut taz (08.05.2000) läßt sich allein das Land Berlin seine Abschiebungsmaschinerie pro Jahr mehr als das Doppelte kosten.

Green Card:
Nach dem Willen der Bundesregierung sollen 10.000 bis 20.000 Computer-SpezialistInnen aus dem Ausland für zunächst fünf Jahre in die Bundesrepublik einreisen dürfen. Interessierte müssen einen Hochschulabschluß vorweisen können oder mindestens 100.000 DM verdienen. Familienmitglieder sollen mitziehen dürfen. Mit ihrem Green Card-Vorschlag liefert die Bundesregierung, was die deutsche IT-Industrie bestellt hat.

Flughafenverfahren:
Das sogenannte Flughafenverfahren (§ 18 Asylverfahrensgesetz) ist ein Sonder-Schnellverfahren, dem Asylsuchende unterzogen werden, die über internationale Flughäfen in die Bundesrepublik einreisen. Die Prüfung der Asylanträge wird vom Bundesgrenzschutz und dem »Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge« direkt am Flughafen vollzogen. Sie erfolgt unter größerem Zeitdruck und in der Regel fehlerhafter als im Rahmen des regulären Antragsprüfungsverfahrens. Auch Klagefristen gegen negative Entscheidungen sind wesentlich kürzer. Während der Laufzeit des Verfahrens werden die Asylsuchenden im Transitbereich des Flughafens untergebracht. Sie können leichter abgeschoben bzw. zurückgeschickt werden, weil sie wegen der Unterbringung in der Transitzone als nicht in die BRD eingereist gelten.

01.07.2000, Berlin / »Shut down the Deportation Airport«.
Blockade des Abschiebungs-Flughafens Berlin-Schönefeld

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