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News | Denkpause 8 | 24.07.00
Strom verbrauchen für den Atomausstieg?
Eine unerwartete Kontroverse haben sechs Zeilen und ein WWW-Verweis in der letzten Ausgabe der »Denkpause« ausgelöst. Meine Kritik an den Werbekampagnen für »Grünen Strom«, die ich im Berliner Grünen-Mitgliedermagazin »Stachlige Argumente« veröffentlicht hatte, rief an jener Stelle gleich zwei Gegenartikel hervor. Die Debatte kann auf http://www.ilka.org/gruener-strom verfolgt werden.
Niedersächsiche Grüne, die sich für Kampagnen zum privaten Ökostromwechsel engagieren, hat mein Artikel »so vergrätzt, dass sie nun darüber nachdenken, ob sie nicht ein Parteiausschlussverfahren beantragen sollen«, schreibt Christiane Schlötzer in der Süddeutschen Zeitung. Mit diesem Gedanken sind die NiedersächsInnen dem Vernehmen nach nicht allein. Zusätzliche Dramatik erhielt die Auseinandersetzung über Grünstrom-Kampagnen durch die Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgern über den Weiterbetrieb der Atomanlagen. Im »Atomkonsens« ist kein Datum für die Abschaltung der AKW festgelegt: Wann und wo sie die vereinbarten Terawattstunden Strom produzieren, dürfen die Atombosse selbst bestimmen. Sinken nun der Verbrauch und damit die Nachfrage nach Atomstrom erheblich, werden einzelne unwirtschaftliche Standorte abgeschaltet. Die Strommengen werden dann aber zeitlich gestreckt in anderen AKW produziert. Statt der Beendigung der Atomstromproduktion in den 20er oder 30er Jahren, könnte sich die Stillegung des letzten Reaktors also noch bis ins nächste Jahrhundert verzögern.
Der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) startete unterdessen eine »Offensive für den schnelleren Atomausstieg«. Bei der öffentlichen Vorstellung hieß es: »Wir können alle dazu beitragen, daß der Atomausstieg schneller kommt als es die vereinbarten 21 Jahre Restlaufzeit für Atomkraftwerke erwarten lassen«, sagte BUND-Geschäftsführer Dr. Gerhard Timm.
Um Atomstrom schneller zu verbrauchen, wäre es sinnvoll, elektrische Zahnbürsten zu kaufen und die Wohnung mit dem elektrischen Herd zu heizen, mit offenem Kühlschrank zu kühlen oder am besten alles gleichzeitig zu tun. Auf Anfrage der »Denkpause« wollte Renate Künast diese Strategie aber nicht unterstützen - sie fordert zusammen mit dem BUND dazu auf, Energie aus Biomasseanlagen zu verbrauchen.
Bis die ÖkostromverbraucherInnen atompolitisch jedoch irgendetwas erreichen können, wird noch viel Wind durch die Windräder wehen: Heute haben 0,1 Prozent aller PrivatverbraucherInnen einen Ökostromvertrag. Die Zahl müßte - ohne Berücksichtigung der traditionell atomfreundlichen gewerblichen Verbraucher - etwa verachthundertfacht werden. Allenfalls dann bekäme die Atomindustrie ernsthafte Absatzprobleme und müßte sich im Ausland um AbnehmerInnen bemühen. Es bleibt also dabei: Der private Umstieg auf Ökostrom ist O.K. und kann nichts schaden. Politische Kampagnen dafür sind verschwendete Zeit und nur deshalb nützlich, weil die AkteurInnen während der Beschäftigung mit ihren Kampagnen keinen Angriffsbefehl an Bundeswehr-Tornados geben können.
Make Ökostrom, not war.
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»Nationalistische Argumentationsfiguren«
Die Debatte um die Tobin-Steuer auf internationale Finanztransaktionen (siehe Denkpause Nr. 5, 03/00, 27.3.2000) gewinnt auf der ganzen Welt an Schwung. Über 400 ParlamentarierInnen aus aller Welt haben einen Appell für die Tobin-Steuer unterschrieben. Das britische Unterhaus und die finnische Regierung bezogen sich positiv auf die Steuer. Auch der französische Premierminister Lionel Jospin hat sich auf einem Kongress der europäischen JungsozialistInnen dafür ausgesprochen, »über die Idee einer Tobin-Steuer auf spekulative Kapitalbewegungen nachzudenken, um die internationalen Instanzen in Bewegung zu bringen«.
In Deutschland sammelt das »Netzwerk für die demokratische Kontrolle der Finanzmärkte« Unterschriften für eine Erklärung, in der die Einführung der Tobin-Steuer, die Stabilisierung der Wechselkurse zwischen Dollar, Euro und Yen, sowie die »demokratische Umgestaltung internationaler Finanzinstitutionen« gefordert wird.
Viele christlich-solidarische Institutionen unterstützen den Appell. Auch der Kreisverband Potsdam der Grünen trägt die Erklärung mit. Der BUKO-Arbeitsschwerpunkt »Weltwirtschaft« kritisiert dagegen in einem offenen Brief die neokeynesianistische und etatistische Strategie der gesamten ATTAC-Bewegung und die Tatsache, daß das Netzwerk »nationale Wertschöpfungsgemeinschaften« konstruiert. Mit seiner »unzulässig verkürzten Kapitalismuskritik« beschwöre das Netzwerk seine »Vereinnahmung für nationalistische Argumentationsfiguren«. Der BUKO wird auf seinem jährlichen offenen Kongress vom 6. - 8. Oktober in Berlin über Strategien gegen die Zumutungen der »Globalisierung« diskutieren. Das »Netzwerk« beratschlagt, ebenfalls öffentlich, am 17. und 18. November in Frankfurt.
Ich habe im Europäischen Parlament für den Auftrag an die Kommission gestimmt, die Machbarkeit einer Tobin-Steuer zu überprüfen, obwohl der Beschluß zum Ziel hatte, die globalen Finanzbeziehungen zu stabilisieren.
Eine Tobin-Steuer würde meiner Meinung nach nicht viel nutzen. Schaden kann sie aber auch nicht.
Netzwerk
für eine demokratische Kontrolle der Finanzmärkte
http://www.share-online.de/finanz
ATTAC:
http://www.attac.org/
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Ausländer aus dem Katalog
Kaum kritisiert die »Denkpause« die neoliberale Flüchtlingspolitik der Bundesregierung (Ausgabe 7, 05/00 v. 29.05.2000), schon macht der Bundesparteitag des kleineren Koalitionspartners diese zur offiziellen Parteilinie.
Lange Zeit hatte die grüne Partei für die Gleichberechtigung von MigrantInnen, die Demokratisierung des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts und eine humanitär begründete Einwanderung gestritten. In einem Parteitagsbeschluß spricht sie sich jetzt für ein wirtschaftsfreundliches und am deutschen Arbeitsmarkt orientiertes Verfahren aus. Künftig sollen »wirtschaftliche Planungsdaten« und »arbeitsmarktpolitische Bedenken« bei der Regulierung der Immigration mit entscheidend sein. Die »Verbände« sollen ihre »Interessen« an ZuwandererInnen »anmelden« können. Mit dieser Position unterscheidet nun nicht mehr nur die CDU/CSU, sondern auch Bündnis 90/Die Grünen zwischen nützlichen und unnützen ZuwandererInnen.
Wenn es nach Cem Özdemir ginge, dem innenpolitischen Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag, müßten vor allem die Grünen selbst dringend nützliche EinwandererInnen aus dem Ausland bestellen. Sie hätten zu wenige »profilierte Migranten« in ihren Reihen, sagte Özdemir der »tageszeitung« vom 13.07.2000.
Der Beschluß »Für eine Neuorientierung in der Migrations- und Integrationspolitik - für eine weltoffene Republik« im Internet:
http://www.gruene.de/archiv/grem/bdk/00Muenster/beschluss/Integrationspolitik.htm
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Tote Flüchtlinge spalten Grünen-Fraktion
Nach dem Tod von 58 Flüchtlingen in Dover (Großbritannien) sprach sich am 6. Juli 2000 eine Mehrheit der Abgeordneten des Europäischen Parlaments für härtere polizeiliche Maßnahmen gegen FluchthelferInnen aus. In dem Beschluß zum Thema »Menschenschmuggel«, der von Konservativen, Liberalen und SozialistInnen eingebracht worden war, wird unter anderem der Ausbau der europäischen Polizeibehörde Europol gefordert.
Dem Ruf nach mehr Polizei schloß sich auch der bündnisgrüne Europaabgeordnete Ozan Ceyhun an. Im Namen der Fraktion der Grünen unterschrieb er eine gemeinsame Resolution der verschiedenen Fraktionen. Vom Fraktionsvorsitzenden Paul Lannoye wurde Ceyhun jedoch - auch auf meine Initiative hin - zurückgepfiffen, da viele Grüne aus anderen EU-Staaten nicht hinter der Forderung nach härteren polizeilichen Maßnahmen standen. Die Unterschrift der Grünen wurde daraufhin zurückgezogen.
In anderen Fällen stimmt die Mehrheit der Grünen aber für »Law-and-Order-Anträge« - so zum Beispiel für härtere »Verteidigungsmaßnahmen« der im Ausbau befindlichen Festung Europa. Im Juni etwa votierte nahezu die gesamte Fraktion für den weiteren Abbau von Asylrecht und Flüchtlingsschutz. Ein Dokument über die Schaffung gemeinsamer europäischer »Normen für Asylverfahren« wurde vom Plenum mit großer Mehrheit angenommen.
Sowohl die Debatte, als auch die entsprechende Resolution erinnerte an die mit ausländerfeindlichen Parolen angeheizte Asyldebatte in Deutschland im Jahr 1993. Das Parlament sprach sich beispielsweise für die europaweite Erfassung der Fingerabdrücke von AsylbewerberInnen mittels »Eurodac« aus. Dabei handelt es sich um ein System, das Bündnis 90/Die Grünen in ihrem Bundestagswahlprogramm von 1998 noch ausdrücklich abgelehnt hatten. Auch die »Drittstaatenregelung« und die Bestimmung über »sichere Herkunftsländer« wurden vom Parlament akzeptiert. Gerade diese Regelungen sind es, die in der Bundesrepublik seit 1993 bewirken, daß immer mehr schutzsuchende Menschen abgewiesen und abgeschoben werden können. Die Entschließungen des Europäischen Parlaments zu »Menschenschmuggel« (Dok-Nr. B5-0596/2000) und über »gemeinsame Normen für Asylverfahren« (Dok-Nr. A5-0123/2000) sind im Internet zu finden unter: www.europarl.eu.int. Über meine aktuellen Positionen und Aktivitäten Bereich europäische Asyl- und Flüchtlingspolitik informiert ein Reader, der im Büro Berlin kostenlos bestellt werden kann.
Aktuelle und alte Informationen auch unter:www.ilka.org/themen/weitere.html#festeu
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Gelöbnis-Protest
AntimilitaristInnen bekamen vor dem Berliner Sitz des Kriegsministeriums Geräte zur Störung des »öffentlichen« Gelöbnis der Bundeswehr in Berlin überreicht. Letztes Jahr waren die Materialien nach einer gelungenen Aktion von der Polizei beschlagnahmt worden. Das Tucholsky-Zitat »Soldaten sind Mörder« darf nach herrschender Rechtssprechung nicht ungestraft gegen konkrete Soldaten der Bundeswehr ausgesprochen werden - aber wo Tucholsky Recht hat, hat er Recht.
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