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Ilka Schröder

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Nationalismus | Denkpause 9 | 27.09.00

Wenn Deutsche zu stolz werden

Einheitstaumel absagen

Etwa 87,3 Prozent aller Reden zum zehnten Jahrestag des Zusammenschlusses von BRD und DDR werden einen Hinweis auf bedauerliche rassistischen Vorfälle enthalten. Gute Deutsche werden sich vom offenen Straßenkampf-Faschismus distanzieren, um anschließend durch Hinweis auf die gestiegene Verantwortung Deutschlands die intelligentere Version der deutschen Weltmachtplanungen umzusetzen.

[Weitere Informationen | außen hui, innen pfui | Name and Shame]

Vor einigen Monaten waren FaschistInnen noch arme kleine ModernisierungsverliererInnen. Für aufsehenerregende Aktionen bekamen sie ein akzeptierendes Jugendzentrum und ein Arbeitsförderungsprogramm. Heute scheint es, als hätte die antifaschistische Kritik dieser Methode etwas verändert: Bekennende Rechtsextreme sollen ihren Job verlieren, keinen Führerschein erhalten und nicht mehr liebgehabt werden. Ganz Deutschland scheint sich seit diesem Sommer gegen sie verbunden zu haben. Ein paar tote Linke, Obdachlose und MigrantInnen, das war lange Zeit für viele der heutigen Nazi-BekämpferInnen kein Grund zur Gegenwehr. Erst die ungünstigen Fotos der Weltpresse vom Nazi-Aufmarsch am Brandenburger Tor stifteten zu vermeintlich antirassistischen Aktivitäten an. Ganz vorne dabei sind in den Verbalbündnissen die Bundesregierung, Arbeitgeberverbände, Medien und Gewerkschaften.

Ihr Beitrag zu einer toleranten Gesellschaft ist mehr als fragwürdig: Mit der Unterscheidung von nützlichen und schädlichen MigrantInnen (siehe Denkpause 7 und 8) haben sie eine rassistische Stimmung begünstigt, die jetzt scheinbar bekämpft wird.

Auch der deutsche Angriffskrieg gegen Jugoslawien und eine militaristischere deutsche Außenpolitik leistet einen Beitrag zur Gewalt gegen Andersdenkende. Wie soll man Jugendlichen erzählen, daß Mord und Totschlag kein geeignetes Mittel der politischen Auseinandersetzung ist, wenn es die deutschen NATO-Torpedos den Nazi-Glatzen vormachen? Wer deutschen Soldaten befiehlt, an der Seite der UCK für Volksgruppenseparierung zu bomben, gerät in Argumentationsnöte, wenn er/sie Rechtsextremen verbieten will, für ethnische Reinheit zu kämpfen. Wie kann man die Lügenpropaganda der Rechtsextremen angreifen, wenn selbst mit Lügen Krieg begründet wird?

Für die politische und ökonomische Elite Deutschlands ist Rechtsextremismus nicht schädlich. Die gemeinsame verbale Eintreten gegen den Straßenfaschismus bietet eine hilfreiche Kulisse für den »guten Deutschen«, der seine gestiegene Verantwortung in der Welt wahrnehmen will und dazu den ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat benötigt.

Ein bleibendes Potential von FaschistInnen kann für eine Rechtsverschiebung der vermeintlichen politischen »Mitte« sogar nützlich sein. Weil es noch rechtsextremere AkteurInnen gibt, fällt der eigene Beitrag zur Abschottung Deutschlands gegen Migration und zunehmende weltweite militärische Interessensvertretung Deutschlands gar nicht als so rechtsextrem auf, wie er eigentlich ist. Ob die Bundesrepublik Deutschland dazu bereit ist, den Rechtsextremismus selbst konsequent einzudämmen, darf also in Frage gestellt werden.

Ein internationales Engagement gegen deutschen Rechtsextremismus darf nicht bei einer konsequenzlosen Entsendung von »Drei Weisen« aufhören (wobei nicht einmal eine solche Maßnahme bis Redaktionsschluss beschlossen wurde).

Ein vernünftiger Kompromiß wäre es, eine OSZE-Mission nach Deutschland zu entsenden, die staatliche und nichtstaatliche Verfolgung von MigrantInnen untersucht und Handlungsvorschläge unterbreitet.

Jeglicher staatlich zur Schau gestellter Nationalstolz muß vermieden und bekämpft werden. Es reicht nicht, in den Reden zum Einheitsfeiertag die »Kollateralschäden« des wiedervereinigten Deutschlands zu bedauern. 100 rassistische Tote in zehn Jahren innerhalb der BRD und ein Angriffskrieg außerhalb sind unter anderem wegen Verstoßes gegen den 2+4-Vertrag Grund genug, jegliche offiziellen und inoffiziellen Nationalenfeierlichkeiten am 3. Oktober 2000 zu verbieten. Und wenn das nicht hilft, müssen die vier Vertragspartner überlegen, welche Konsequenzen sie aus der eklatanten Verletzung des Vertrages ziehen.

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[Außen hui, innen pfui]

Ihre Beteiligung an einem »Netz gegen Rechts« verkündet die Berliner Zeitung auf Seite 1 ihrer Ausgabe v. 16.08.2000. »Darin werden Informationen über Rechtsradikale, Ausländerhass und Rassismus in Deutschland zusammengefasst.« Auf Seite 29 der gleichen Ausgabe werden die verwirrten LeserInnen fettgedruckt aufgefordert, Informationen über - nein, nicht Rassisten - sogenannte illegal eingeschleuste Ausländer bereitzustellen. »Was wir dringend benötigen, sind Hinweise aus der Bevölkerung. Ich glaube, dass es im Umland richtige Massenunterkünfte für eingeschleuste Menschen gibt, die weiter transportiert werden sollen. … Die müssen einfach auffallen.« Das textabschließende Zitat des polizeilichen MigrantInnenjägers Michael Baumann ersetzt das eigene Resümee der Zeitung. Ein Hinweis, daß die mithelfenden BrandenburgerInnen die »Illegalen« nicht selbst verprügeln und aus ihrem Land rausschmeissen sollen, sondern sie nur der der Polizei melden sollen, fehlte. Keine einzige Äußerung des Polizisten wird von der Zeitung auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft. So kommt es, daß der Preis für Fluchthilfe mit 20.000 bis 50.000 DM angegeben wird. FluchthelferInnen werden damit pauschal als AusbeuterInnen dargestellt, Fliehende als Menschen, denen es finanziell sehr gut geht. Der Tagesspiegel (13.9.2000) kommt den realen Kosten der meisten »SchleuserInnen« näher: Er berichtet von einem Gerichtsprozeß, bei dem FluchthelferInnen vorgeworfen wird, 450 bis 800 DM für Transportdienstleistungen gefordert zu haben.

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[Name and Shame]

»Es ist nicht so gut, wenn Du Leute persönlich angreifst«, ist eine häufige Reaktion auf meine Äußerungen. Besser würde es vielen von Ihnen sicher gefallen, wenn ich den »allgemeinen Neoliberalismus« oder die »allgemeine Tendenz zur Militarisierung« kritisieren würde, ohne Namen zu nennen. Es sind aber konkrete Personen, die konkrete Politik machen. Politische Diskussionen, Interpretationen und eben auch Angriffe auf politische Fehlentwicklungen wird es in der Denkpause weiterhin geben. Und weil es gerade in Mode ist, geschieht das in dieser Ausgabe institutionalisiert in der »Name and Shame«-Rubrik.

Peter Bernhardt, Stadtverordneter in Darmstadt, enthielt sich bei der Abstimmung über den Beitritt der Stadt Darmstadt zu einem »Bündnis gegen rechts«. Gegenüber dem Darmstädter Echo (12.08.2000) begründete er sein Stimmverhalten: »Weil ich mit meiner Frau in der Sauna von vier Türken massiv angegangen worden bin. Sagen Sie mir, was man gegen das gesteigerte Selbstbewußtsein der Ausländer tun kann«. Der Obsthändler war für Bündnis 90/Die Grünen im Stadtparlament und hat sein Mandat inzwischen abgegeben.

Jörg Tremmel, Vorstandsvorsitzender der »Gesellschaft für die Rechte zukünftiger Generationen«, will per grafischer Einordnung die Vergleichbarkeit verschiedener Ereignisse mit dem Holocaust verdeutlichen. »Völkermord in Bosnien oder im Kosovo« ist seiner Meinung nach vergleichbar mit dem Holocaust, die »Ermordung eines Juden oder eines Asylbewerbers« oder die »Schändung eines jüdischen Friedhofes« sei eingeschränkt vergleichbar. Überhaupt nicht vergleichbar seien »Maßnahmen gegen den Terror türkischer Jugendbanden in Westdeutschland«. In Denkpause Nr. 2 (02.99) bezeichnete ich seine Thesen als »rechtsextrem«. Der Berliner Tagesspiegel äußerte sich ähnlich. Tremmel ist es aber ein wichtiges Anliegen, mit der gesellschaftlichen Mitte zusammenzuarbeiten. Im August gelang es ihm, die »Jungen Europäischen Föderalisten« in seinen Jugendkongress auf der EXPO einzubinden. Die angedrohte Klage gegen meine Einschätzung seiner Thesen als »rechtsextrem« reichte Tremmel aber gar nicht erst ein.

Georgia Langhans, Fraktionssprecherin der Grünen im Stadtrat von Celle, hat mit ihren grünen FraktionskollegInnen, SPD, CDU und Republikanern beschlossen, eine Mauer um ein Flüchtlingsheim bauen zu lassen. Der Zeitpunkt für die Bauarbeiten war aber ungünstig gewählt. Gerade Mitte August, als ganz Deutschland antirassistisch sein will, wird der rassistische Schutzwall errichtet. »Das ist Nazi-Deutschland, das ist doch Rassismus, uns so vollständig hier einzumauern«, sagt ein Flüchtling. »Warum hat die Stadt das Geld, eine solche Mauer zu bauen, warum hat sie kein Geld, um damit für ein bisschen bessere Wohnverhältnisse im Flüchtlingsheim zu sorgen?« Die Celler Grünen besinnen sich indes auf ihre ökologischen Wurzeln: »Wenn es noch möglich ist, sollte man statt der Mauer lieber einen Holzzaun bauen«, so Langhans in der Celleschen Zeitung. Den Flüchtlingen in Celle bleibt im Moment nur die Hoffnung auf den Staatsschutz: 1978 wollte sich ein Spitzel bei der RAF einschleimen und sprengte das »Celler Loch« in eine Knastmauer. [http://www.cellesche-zeitung.de/]

Wal Buchenberg, Hobby-Journalist, macht in dem zum Teil links ausgerichteten Online-Magazin Trend (»für die alltägliche Wut«) einen Vorschlag, wie das arbeitende deutsche Volk mit Migration umgehen soll: »Eine praktikable und mehrheitsfähige Methode, die Frage des Immigrantenzuzugs in einem demokratisch legitimierten Rahmen zu diskutieren und zu entscheiden, wäre es, wenn z. B. ein gemeinsamer Gewerkschaftstag der großen Gewerkschaften jährlich über die Auswahlkriterien und die Anzahl der Immigranten des Folgejahres beraten und entscheiden würde.« Indem Buchenberg die MigrantInnen erst gar nicht reinlassen will, geht er weiter als nationalistische GewerkschafterInnen, die bisher forderten »Arbeit zuerst für Deutsche«. [http://www.trend.partisan.net/trd0900/t130900.htm]

Marieluise Beck, grüne Ausländerbeauftragte der Bundesregierung und Mitglied der »Gesellschaft für bedrohte Völker«, kritisiert in einem Antrag an den Grünen-Parteitag, daß ein »transparentes und offenes parlamentarisches Verfahren, in dem Verbände ihre Interessen anmelden können und in dem diese unterschiedlichen gesellschaftlichen Interessen zum Ausgleich gebracht werden«, bisher fehlt. »Nur so kann aber auch über wirtschaftliche Planungsdaten und arbeitsmarktpolitische Bedenken in einem transparenten Verfahren beraten werden.« Wirtschaftsbosse werden also in Zukunft nicht nur wegen Atomenergie, Renten und Steuern beim Kanzler sitzen. Von der Bewegung ihres Daumens nach oben oder unten hängt es auch ab, ob Menschen nach Deutschland kommen dürfen oder nicht. Nicht vorwerfen kann man Marieluise Beck allerdings, daß sie antirassistische Modererscheinungen mitmacht. Sie nimmt die »akzeptierende Jugendarbeit« mit rechtsextrem motivierten Jugendlichen weiterhin in Schutz. (F.A.Z. 07.09.2000)
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Zum Weiterlesen:

75 Millionen DM
für Täter
Die deutsche Bundesregierung stellt 75 Millionen DM Bundesmittel aus dem Europäischen Sozialfonds für »Jugendarbeit gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit« bereit. Mit den Millionen werden allerdings keine Antifa-Gruppen finanziert werden, sondern solche AktuerInnen, die man eigentlich zum Täterkreis zählen müßte: Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften werden qualifiziert; in Behörden soll fortgebildet werden. Im Jugendministerium scheint man also ein offenes Auge für den staatlichen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit aus der Mitte der Gesellschaft zu haben. Staatssekretärin Edith Niehuis: »Alle Schuld bei den Jugendlichen abzuladen ist falsch. Sie können nur deshalb so agieren, weil sie auf Zustimmung oder Billigung oder Weggucken stoßen.« www.bmfsfj.de/infoc/
inhalt08.asp

Dokumentations- und Informationszentrum für Rassismusforschung D.I.R. e.V.
http://www.uni-marburg.de/dir/

Nationaler
Neoliberalismus
Um den Rechtspopulisten nicht das Terrain zu überlassen, versucht die neuste Ausgabe des Widerspruch Probleme, Chancen und Perspektiven einer solidarischen Arbeits- und Sozialpolitik zu skizzieren. Nachdem die westeuropäischen Regierungslinken, sozialdemokratische Parteien, Gewerkschaften und Grünen, eine Mitverantwor-
tung am Erstarken des Rechtspopulismus attestiert wird, greifen verschiedene Beiträge die Modernisierung und Flexibilisierung des Arbeitsmarktes an. Arbeiter- und Klassensolidarität wird den LeserInnen als nicht gerade neues Mittel gegen Lohnflexibilisierung und Leistungslohnsysteme angeboten.
Lesenswert macht das >
Heft die Auseinandersetzung mit dem Beitrag der »Neuen Mitte« zu Fremdenfeindlichkeit und Nationalismus. Gerd Wiegel sieht in seinem Beitrag Haider als Prototyp einer extremistischen Mitte und bietet damit eine in der herrschenden Extremismus- und Totalitarismusforschung nicht vertretenen Erklärungsansatz. Bestärkt wird seine Argumentation auch durch die im Heft enthaltenen Analysen der FPÖ (»nationalistische Veranstaltung des Neoliberalismus jenseits von Klasse und Lager«) und eine Diskursanalyse des modernisierten Nationalkonservativismus der Schweiz.
WIDERSPRUCH Heft 39, Rechtspopulismus - Arbeit und Solidarität.
204 S., 21 sFr/DM, im Buchhandel oder vertrieb@widerspruch.ch, www.widerspruch.ch, Fon/Fax:
00.41.273.03.02

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