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Ilka Schröder

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WTO | Denkpause 9 | 27.09.00

IWF- und Weltbanktreffen in Prag

Platzende Wirtschaftswunder

Kapitalistische Institutionen haben spätestens seit den heftigen Protesten gegen den WTO-Gipfel in Seattle keinen guten Ruf. Jetzt werden Armutsprogramme geplant, die aber auf alte Konzepte setzen. Die armutsfördernden IWF-Strukturanpassungsmaßnahmen gelten jetzt auch für das MEDA-Programm der EU.

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Prag wollte bettlerfrei sein. Pünktlich zur Jahrestagung der Gouverneure von Weltbank und Internationalem Währungsfond (IWF) sollte das Betteln in der Prager Innenstadt verboten werden. Die Intentionen dafür waren allerdings eher ästhetischer Natur, denn auf ein eventuell schlechtes Gewissen der KonferenzteilnehmerInnen zurückzuführen. Seitdem Tschechien nach 1989 zum Musterland des ungezügelten Kapitalismus (»Transformation«) wurde, rutschte das Land in der UNO-Weltrangliste der Lebensqualität vom 25. auf den 36. Rang. Für Bildung und Sozialleistungen muß teuer bezahlt werden. Seit einigen Jahren ist das Land nicht einmal mehr unter rein kapitalistischer Betrachtungsweise ein Musterland. 1999 stieg das Wirtschaftswachstum gerade einmal um 0,2 Prozent, nachdem es im Jahr vorher noch um 2,5 Prozent gefallen war. Die Nachrichtenagentur Reuters konnte nur noch konstatieren, daß »das Wirtschaftswunder platzte.«

Das Jahrestreffen von IWF und Weltbank war als Großinszenierung geplant, mit der Tschechien den Beitritt zur westlichen Industriewelt zelebriert. Aber nicht nur das Land, sondern auch die supranationalen Institutionen werden von einer Krise getroffen. IWF und Weltbank versuchen immer noch eine Positionsbestimmung in der sich ändernden Welt. Wachstum soll seit dem letztjährigen Jahrestreffen auch »qualitativ« sein.

Besonderes öffentlichkeitswirksamer Coup war die kräftige Revision der »Heavily Indepted Poor Countries Initiative« (HIPC). Den ärmsten Ländern der Welt sollte ein Teil ihrer Schulden erlassen werden, wenn sie freiwerdende Gelder zur Armutsbekämpfung nutzen. Bisher bietet die Initiative aber vor allem Kosmetik. Die Institutionen betreiben business as usual. Der »Einbeziehung der Zivilgesellschaft« wird von BasisaktivistInnen mit dem Fahren per Anhalter verglichen: Mensch darf zwar einsteigen, hat aber keinen Einfluss auf die Richtung, die das Auto nimmt. Kein Wunder, dass sich das HIPC-Programm inhaltlich kaum von den alten Maßnahmen zur Strukturanpassung unterscheidet. Endgültig zur Farce wird die HIPC dadurch, daß die Teilnahme nur den Ländern gestattet wird, die sich den armutsfördernden Maßnahmen der trotz fataler Auswirkungen weiterhin bestehenden IWF-Strukturanpassungsprogramme unterwerfen.

Die Macht der IWF-Richtlinien bekommen die Länder aber nicht nur von der Institution selbst zu spüren. Selbst die EU, die im Gegensatz zu den einzelnen europäischen Staaten nicht organisatorisch in den IWF einbezogen ist, nimmt sie sich zum Maßstab. Im Rahmen des neuen MEDA-Programms zur Zusammenarbeit mit den Ländern der Mittelmeerregion tauchen sie zum Beispiel auf. Bestimmte Gelder sollen erst ausgegeben werden, wenn das entsprechende Land die IWF-Kriterien erfüllt. Wie wenig Freihandel und Freiheit im Zusammenhang stehen, wird ebenfalls im MEDA-Programm deutlich. Der Parlamentsbericht zum Thema erwähnt auch noch explizit die Pflicht der MEDA-Länder, Abschiebeabkommen (Flüchtlings-»Rückführung«) mit der EU abzuschließen.Während die klassischen Richtlinien des IWF weiter als Maßstab für konformes Verhalten der armen Länder gelten, werden die neueren Reförmchen der Institution schon wieder zurückgenommen. Der Generaldirektor des IWF, Horst Köhler aus Deutschland, spricht wieder davon, daß der IWF sich übernommen habe und nun eine Rückbesinnung auf seine »Kernkompetenzen« anstehe. Langfristige Armutsbekämpfung soll kein Thema mehr sein. Der Währungsfond soll lediglich noch eine Rolle als »letztmöglicher Schuldengeber« spielen, der nur in Krisen interveniert. Weder wird in den neuerlichen Strukturüberlegungen das Demokratiedefizit des IWF thematisiert, noch die Tatsache, daß er vor allem zur Durchsetzung von Interessen der G7-Eliten dient. In Prag mobilisiert ein breites Bündnis linker Gruppen gegen den Gipfel. Die Vertreter der kapitalistischen Wachstumsdoktrin sind nicht allein, wenn sie die Weltordnung gestalten wollen.

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Zum Weiterlesen:

INPEG
Breites, in Tschechien organisiertes Bündnis der WiderständlerInnen gegen das IWF-Treffen. Ähnlich wie in Seattle umfasst der Zusammenschluß ein breites Spektrum von Umweltgruppen, BürgerrechtsaktivistInnen, kleineren Gewerkschaften bis hin zu AnarchistInnen. Nicht Teil von INPEG sind ein eigenständiger Schwarzer Block, die Kommunistische Partei und Großgewerkschaften.

IWF
Internationaler Währungsfonds oder auf Englisch International Monetary Found (IMF). 1945 als Überwachungsinstanz für das Bretton-Woods System der stabilen Wechselkurse gegründet. Nachdem dieses 1973 aufgelöst wurde,
änderten sich die Aufgaben. Nun war der IWF vor allem als Kreditgeber an arme Länder tätig. Um seine Kredite zu bekommen, mussten sich diese Strukturanpassungsmassnahmen unterwerfen, indem sie staatliche Investitionen in den Bildungs- und Gesundheitssektor auf ein Minimum reduzieren. Besser ging es ihnen danach nicht. Schwere Kritik zog sich der Fonds ebenso durch sein Verhalten in der letzten Asienkrise zu. Die Stimmverteilung in den Entscheidungsgremien des IMF erfolgt nach einem Schlüssel, der dem investierten Kapital folgt. USA und EU-Staaten haben zusammen die absolute Mehrheit der Stimmen.

www.inpeg.org
Englischsprachige Site der lokalen Prager Organisation

www.crosswinds.net/prag2000/home.htm
Deutschsprachige Homepage mit umfassenden Prag-Infos

www.prague.indymedia.org
Unabhängiges Medienzentrum mit aktuellen
Berichten aus der Stadt

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