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Ilka Schröder

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Quelle: konkret 05/2001

Ilka Schröder:

Es geht nicht nur um den Zwang zur Arbeit, sondern um den Zwang, deutsch zu sein...

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Ilka Schröder, 1978 in Westberlin-Neukölln geboren, Enfant terrible der grünen Fraktion im Europaparlament, Traum schlafloser Nächte für ihre gesichtslosen Kollegen und Haßobjekt ihrer völlig unbekannten Kolleginnen, autonom bis zum Anschlag und alles andere als grün hinter den Ohren, hat immerhin geschafft, was zuletzt Ebermann und Ditfurth mit Schily gelungen ist: zwei grüne Promis zu den Sozis wegzuekeln. Für KONKRET äußert sie sich über Schröders Kampf gegen Arbeitslose und das Projekt der Entsolidarisierung


konkret: "Ein Recht auf Faulheit gibt es nicht", sagt Ihr Namensvetter. Ist der Kampf gegen Arbeitslose ein rotgrünes Projekt?

Schröder: Herr Schröder fordert direkt Sanktionen gegen Arbeitslose. Claudia Roth hält die bestehenden Repressionsmaßnahmen für ausreichend. Das heißt aber, daß sie sich positiv auf die bestehenden Regelungen bezieht. Und damit auch eine Kriminalisierung
von Arbeitslosen billigend in Kauf nimmt.

konkret: Früher dachte man ja bisweilen: böse Sozis, gute Grüne.

Schröder: Schon 1999, bezeichnenderweise während des Kosovo-Krieges, haben die Grünen in einem Bundestagsfraktionspapier geschrieben, daß "Rechten von Arbeitslosen auch Pflichten gegenüberstehen müssen", was nichts anderes hieß und heißt, als Zwangsmaßnahmen gegen Arbeitslose einzufordern. Gerade beim Umgang mit Erwerbslosen gleichen sich die Herangehensweisen von Rot und Grün.

konkret: Ist "Arbeit für alle um jeden Preis" - das neue Credo der grünen Mitte?

Schröder: Ja. Und da wird auch nicht zwischen frei wählbaren Jobs, die den Leuten gefallen und die der Gesellschaft etwas bringen, und den Jobs um jeden Preis unterschieden. Das heißt: Repression gegen alle, die nicht mitmachen.

konkret: Die Grünen möchten die Freiwilligendienste stärker ausbauen. Ist das nicht eine Möglichkeit für junge Leute sich hier selbst zuverwirklichen, ganz ohne Zwang, ganz selbstbestimmt?

Schröder: Freiwilligendienste sollten wie andere Arbeitsstellen bezahlt werden. Aber das ist nicht so. Es handelt sich ausschließlich um Beschäftigungsmaßnahmen im Wortsinne. Die Entlohnung der sogenannten Freiwilligendienste ist auch denkbar gering. Die Gefahr besteht, daß ein Freiwilligengesetz den Boden bereitet; um vom alleinigen Kriegsdienst mit oder ohne Waffe für Männer zu einem Zwangsjahr für alle zu kommen. Wenn das Bundesverfassungsgericht Ende des Jahres die Wehrpflicht für verfassungswidrig erklären sollte, würde dieser Freiwilligendienst zum Zug kommen. Auf längere Sicht sind Zivildienst und Wehrpflicht schädlich für die Interventionsarmee.

konkret: Viele grüne Parteimitglieder meinen, daß durch die Verpflichtung zu ökologisch sinnvollen Projekten Menschen zumindest ideell wieder eine Perspektive gegeben werden kann.

Schröder: Es ist eine Herabwürdigung und keine Perspektive, wenn man ein paar Mark für eine Stunde Arbeit bezahlt bekommt. Eine Perspektive bekommen die Leute nur dann, wenn sie selbstbestimmt über ihre Zeit entscheiden können. Wenn überhaupt soziales Engagement, dann nicht per Verordnung von oben, sondern freiwillig von unten.

konkret: In der Bundesrepublik jagt im Moment eine rechte Kampagne
die andere. Können die Grünen sich nicht zumindest als linksliberale Alternative zu Nationalstolz, Deutschlandliebe und Drohungen gegen Arbeitslose profilieren?

Schröder: Wer sich von dem Nazi-Spruch "Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein" nicht einmal mehr zu distanzieren traut, kann diese Alternative nicht bieten.

konkret: Die „jungen linken Grünen“ haben das Manifest „Joschkas Nachwuchs" vorgelegt. Darin begrüßen sie Konzepte wie die "BürgerInnenarbeit" und fordern, daß "Rüstungsunternehmen ... auch weiterhin bekämpft werden, wenn sie im Einzelfall aus Profitinteressen Elend, Verschmutzung und Zerstörung in Ländern des Südens hervorrufen." Trau keinem unter dreißig?

Schröder: Zu Ihrer letzen Bemerkung will ich mich mal nicht äußern. Jedenfalls habe ich einen klaren Dissens mit Leuten, die sich ausschließlich für mehr Arbeitsplätze einsetzen und damit Unternehmen oder den kapitalistischen Verwertungszusammenhang nur im "Einzelfall" kritisieren können. Das Dilemma kann man nur auflösen, indem man klarmacht, daß es eben nicht um Arbeitsplätze um jeden Preis geht. Technologie, die im Sinne von Menschen genutzt wird, beispielsweise Rationalisierung durch Computereinsatz, bedeutet mehr frei verfügbare Zeit und damit auch mehr Möglichkeiten für ein selbstbestimmtes Leben. Wenn es eine gesellschaftliche Umverteilung gibt, bringen weniger Arbeitsplätze einen Gewinn für alle.

konkret: Mit seiner Kampagne gegen Paul Lafargues "Recht auf Faulheit" hat Schröder die klassische Spaltung in der Arbeiterbewegung aufgegriffen und versucht, sie produktiv für die "Neue Mitte " zu vertiefen. Ist das im Vorgriff auf die Wahlen 2002 schon der Versuch, einen antisozialen gesellschaftlichen Block zusammenzuschmieden?

Schröder: Es ist schon Vorwahlkampfzeit. Es geht der Bundesregierung jedoch nicht nur um die Entsolidarisierung zwischen Erwerbstätigen und Nichterwerbstätigen, sondern es geht auch um andere gesellschaftliche Gruppen. Vor allem in der Mitgrationsdebatte werden Migrantinnen und Migranten immer mehr auf Zwangssprachkurse oder den Schwur auf die
FdGO festgelegt. Es geht also nicht nur um den Zwang zur Arbeit, sondern
um den Zwang deutsch zu sein.
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