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Ilka Schröder

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Stromwechsel - nur mit uns?
Argumente gegen die Kampagne für »Grünen Strom«

»Mama, welche Farbe hat eigentlich unser Strrrrrr...« waren die letzten Worte der aufgeklärten Ökoverbraucherin Natascha (4), als sie an der Steckdose das Umweltbewußtsein ihrer Wohngemeinschaft überprüfte.

Nach NABU, BUND und Greenpeace macht jetzt auch unser Landesverband Werbung für farbigen Strom. Wurden die BerlinerInnen vor zwei Jahren aufgefordert, den Atomausstieg (»nur mit uns«) per Stimmzettel einzuleiten, so soll es heute das Antragsformular eines alternativen Stromanbieters sein. Vermutlich aber wird auch dieses Kreuzchen keinen Politikwechsel in der Atompolitik einleiten: Sechs Einwände gegen die Kampagne und ein Alternativvorschlag.

1.Die Aussage, KundInnen von Ökostromanbietern würden keinen Atomstrom verbrauchen, ist falsch und zwischenzeitlich mindestens einem Anbieter auch gerichtlich verboten worden. Durch die Steckdose fließt genau der gleiche Strom wie vorher. Irgendwann innerhalb eines Jahres wird ein Ökostromproduzent in das Stromnetz, das man sich als »Stromsee« vorstellen kann, lediglich ökologisch erzeugten Strom einspeisen.

2. Dieser in den »Stromsee« eingespeiste ökologische Strom würde ohnehin eingespeist werden, da aufgrund der Einspeisevergütung Ökostrom bereits rentabel produziert werden kann. Realistischerweise wird der Anteil von bestelltem Ökostrom den Anteil, den die regionalen Produzenten ohnehin kostendeckend vergüten müssen, nicht übersteigen.

3. Wirklich regenerative Elektronen kommen nur durch eine dezentrale selbstorganisierte Stromversorgung in die Steckdose, also zum Beispiel vom eigenen Solardach. Dezentralität ist ein Vorteil regenerarativer Energien (kein Transportverlust!). Wer in Berlin für den Verbrauch von Nordsee-Windkraft-Strom wirbt, vermindert gleichzeitig das Interesse für die wirklich ökologische Art der Energieversorgung.

4. Allen Stromwechselkampagnen fehlt eine kritische Distanz zum Konzept der Liberalisierung des Strommarktes. Die nationale Umsetzung der europäischen Binnenmarktrichtlinie Elektrizität ist das deutsche Energiewirtschaftsgesetz aus Kohl´schen Zeiten: Ziel der EU-Richtlinie ist unter anderem die »Stärkung der Versorgungssicherheit und der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft«. Wie immer, wenn ein Standort gesichert werden soll, wird ein weiterer Bereich der Gesellschaft dem Markt unterworfen. Durch Konkurrenz soll Strom billiger werden. Wer durch die Ökosteuer Energie verteuern will, wird unglaubwürdig, wenn er sich nicht gegen sinkende Strompreise durch liberalisierte Energiemärkte ausspricht.
Die Einspeisevergütung als derzeit wirkungsvollere - aber ordnungspolitische - Maßnahme für grünen Strom wird durch Lobhudelei auf den liberalisierten Energiemarkt ebenfalls in Frage gestellt.

5. Stromwechselkampagnen entpolitisieren die Energiepolitik. Verbraucherinnen und Verbrauchern wird die Verantwortung zurückgegeben: »Das Private ist politisch«. Die radioaktive Strahlung nach einem GAU oder aus einem Atommüllager macht aber keine Biegung um Haushalte, die sich mit grünem Strom versorgen. Im Kampf um den Atomausstieg geht es um politische Macht und Billionen DM. Im Zusammenhang mit der unglücklichen rot-grünen Kampagne »Der schnelle Atomausstieg ist juristisch nicht möglich« wird vermittelt, die Politik habe keine Handhabe gegen die Atomkraft. Das mag im Sinne eines Bremsens der Enttäuschung über die grüne Regierungsbeteiligung angebracht sein - für einen schnellen Atomausstieg ist es schädlich.

6. Der Marktanteil für grünen Strom wird auch bei großen Anstrengungen extrem niedrig bleiben. Mit der Wechselkampagne wollen die InitatorInnen »die Berliner VerbraucherInnen zu einer VerbraucherInnenabstimmung über den Atomausstieg aufrufen« , diese Abstimmung soll »mit der ganz privaten Stromrechnung« stattfinden (aus einer Mobilisierungs-eMail des Landesvorstandes). Damit wird einmal mehr in unseren Kreisen mit Meinungsumfragen realitätsfern umgegangen. Auch wenn sich zwei von drei VerbraucherInnen laut INFAS vorstellen können, für Ökostrom mehr zu zahlen, so sieht es in der Praxis ganz anders aus: Der Anteil der Haushalte, die Ökostrom bestellen, wird sich in dem Rahmen einpendeln, den Bioläden oder Dritte-Welt-Shops haben. Wer eine Abstimmung mit dem Stromzähler ausruft, muß auch das Ergebnis verkünden: In Berlin haben sich bis Mitte März 0,3 Prozent der PrivatverbraucherInnen für den BEWAG-Ökostrom entschieden, 2 Prozent für den Bewag-Mischatomstrom »Multiconnect«, weitere 2 Prozent haben die Bewag verlassen - der geringste Teil davon zu ÖkostromanbieterInnen. Für die Abstimmung mit dem Stromzähler bedeutet das: Einer schweigenden Mehrheit von 95 Prozent ist der Atomausstieg egal. Unter der verschwindenenden Minderheit, denen es nicht egal ist, hat die Gruppe der ausdrücklichen AtombefürworterInnen wiederum die Mehrheit.

Unsere Kampagne »Mitmischen auf dem Strommarkt« bindet wertvolle Arbeitskraft, die anderweitig energiepolitisch sinnvoller eingesetzt werden könnte.

Ein konstruktiver Vorschlag:
Wie wäre es mit einer Negativ-Imageampagne gegen Atomkonzerne, gegen deren institutionelle EigentümerInnen und private AktieninhaberInnen? Ihre Profite wurden bereits durch zweistellige Milliardensummen vom Staat gefördert, ihre Aktienkurse sind seit Tschernobyl explodiert, ihre Reaktoren sind schlechter versichert als die Autos auf dem Kraftwerksparkplatz, ihre Brennelemente oder Castoren haben gefälschte Papiere, ihre Putzkräfte und die Kinder in der Umgebung sterben ohne großes Aufsehen.
Es ist den Atomprofiteuren egal, was in den nächsten hundertausend Jahren mit ihrem Müll passiert.
Für dieses Handeln bekommen sie Millionengehälter und astronomische Aktiengewinne. Trotz dieser Maschenschaften erwarten sie, daß sich eine rot-grüne Regierung mit ihnen an einen Tisch setzt. Nein! Das Handeln der Bosse und der EigentümerInnen der Atomkonzerne ist zutiefst menschenverachtend. Mit solchen Menschen darf es nie einen Konsens geben.
Mit einem Ökostromabo befriedigen wir die gesellschaftliche Stimmung gegen Atomkraft, die wir durch eine solche Kampagne noch richtig anheizen müßten.

Ilka Schröder ist Mitglied des Europäischen Parlaments und dort für die Fraktion Grüne/EFA im Ausschuß für Industrie, Außenwirtschaft, Forschung und Energie.

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