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Ilka Schröder

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Mit dem Seattle Daily die Chronologie der Ereignisse in Seattle (28.11. bis 5.12.99) inclusive des Abschluß-Höhepunktes - das Scheitern der Verhandlungen - plus inhaltlichen Hintergrund-Infos verfolgen. Hier im Netz!

Seattle Daily vom 5.12.99

Seattle Daily vom 4.12.99

Seattle Daily vom 3.12.99

Seattle Daily vom 2.12.99

Seattle Daily vom 1.12.99

Seattle Daily - Nachtnachrichten vom 30.11.99

Seattle Daily vom 30.11.99

Seattle Daily vom 29.11.99    English

Seattle Daily vom 28.11.99    English

Seattle Daily vom 5.12.99

Resumee der Verhandlungen und der WTO-Kritik: USA und Protestierende haben gewonnen
Anmerkung: Diese Zusammenfassung greift drei Aspekte heraus und hat keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Mehr Informationen zu den verschiedenen AkteurInnen der WTO-Konferenz und Hintergrundinformationen zu den einzelnen Themen sowie interessante Links sind unter www.ilka.org/themen/seattledailyweb.html zu finden.

In diesem Papier: 1. Die Strategie der USA
2. Protestbewegung in Seattle: Wer gegen wen, das Castor-Prinzip und die Strategie der Polizei
3. Kritik an der Kritik

1. Sieg der USA mit Sozialstandard-Forderungen

Die USA haben gewonnen. Denn das Ergebnis entspricht ihrem Traumergebnis: Die am Ende der letzten großen Verhandlungsrunde in Marrakesh geschlossenen Themen Landwirtschaft und Dienstleistungen, die sogenannte built-in agenda, wird sowieso verhandelt - auch wenn in Seattle keine neue Verhandlungsrunde eröffnet wurde. Über mehr wollten die USA gar nicht reden. Bei zu vielen Themen hatten sie Angst, sich die Erfolge neu erringen zu müssen, wie z.B am TRIPs-Abkommen deutlich wird. Erst jetzt scheinen viele Länder zu merken, was sie eigentlich für ein Abkommen über die intellektuellen Eigentumsrechte unterschrieben haben: Nicht ein faires Recht zur Sicherung von diesen Eigentumsrechten für jedeN, sondern ein Schriftstück, mittels dessen Biopiraterie unterstützt wird. Wäre über dieses Thema geredet worden, hätte sich auch der Unmut geäußert. Und genau das wollten die USA vermeiden.

Den Vereinigten Staaten wird denn auch vorgeworfen, die Verhandlungen absichtlich destruktiv begleitet zu haben, damit eine Einigung auf eine gemeinsame Tagesordnung unmöglich wird. Die Vorwürfe fangen damit an, womit die Konferenz begonnen hat: Die Demonstrationen. Die USA hätten das Ausmaß absehen können und hätten im Vorfeld mehr verhindern müssen. Auf der inhaltlichen Ebene war der Vorschlag, Kinderarbeit zu verbieten, schon eine Provokation gegenüber der Zweidrittelwelt. Dieses Verbot allerdings noch mit Sanktionen wirksamer durchsetzen zu wollen, ließ den Hut vieler Delegierter dieser Länder wütend in die Höhe schießen.

Interessant ist die Dynamik dieser Forderung allemal. US-Präsident Clinton, wie auch die US-Außenhandelsbeauftragte Barshefsky wurden nicht müde zu beteuern, daß der friedliche Teil der DemonstrantInnen berechtigterweise ungelöste Probleme anspreche, zu denen Antworten gegeben werden müssen. Gerade im Vorlauf zu den Sozialstandards dann Thema Nummer eins, um die Proteste für die eigenen Zwecke zu vereinnahmen. Scheinbar also Themen von der Straße aufgreifend, kommt von US-amerikanischer Seite am Donnerstag der Vorstoß in Sachen Kinderarbeit. Das Paradoxe: Kinderarbeit einfach zu verbieten heißt, Armut zu vergrößern. Denn in vielen Gebieten kann eine Familie nicht ohne die (oft extrem gering) bezahlte Arbeit ihrer Kinder leben. Bei einer Lebenserwartung von teilweise unter 40 Jahren ist es dementsprechend kurzsichtig, schlicht ein Verbot aller sogenannter Minderjähriger zu fordern. Viel mehr würde helfen, die Rechte dieser Kinder zu sichern, wie die Rechte auf gewerkschaftliche Organisation und kollektive Lohnverhandlungen ebenso allen anderen ArbeitnehmerInnen zu Gute kämen. Ein anderes Verbot etwa wäre mittels einer Argumentation, die sich an Menschenrechten orientiert, wesentlich wichtiger: Das Verbot von Zwangsarbeit. Damit würde in den Industrieländern aber nicht nur Kriegs-und Zivildienst in Frage gestellt, ebenfalls stünde die gängige Zwangsarbeit in vielen Knäste zur Disposition. So bestätigt sich die Befürchtung, die viele VertreterInnen der Zweidrittelwelt zum Thema ´Sozialstandards" bereits im Vorfeld äußerten: Das Schlagwort wird mißbraucht und protektionistisch im Sinne des Nordens eingesetzt.

2. Überraschender Etappensieg der Protestierenden
Die Proteste haben überraschend einen Etappensieg errungen. Zuerst hat wohl kaum jemand damit gerechnet, daß so viele Menschen gegen die WTO demonstrieren würden. Erstens, weil das Thema so abstrakt erschien. Kein Beschluß der Politik, kein Ereignis vermochte gerade zum Ende dieses Jahrzehnts mehr als einige Spendengelder, vielleicht noch eine Menschenkette mobilisieren. Bei den EU-Treffen der Staats- und Regierungschefs etwa kam es noch 1997 zu ähnlichen Protesten in Amsterdam wie jetzt in Seattle, während die Demonstrationen im Köln Mitte diesen Jahres eher diffus wirkten und nur eine geringe Schlagkraft entwickelten.

Wider die Trennung von ´militantem' und ´verständlichen' Protest Die Proteste fanden entlang der ganzen Bandbreite an Themen statt, die die WTO abdeckt: Umwelt, Medien und Kultur, VerbraucherInnenschutz, wie auch Landwirtschaft, Gentechnik und Patentierbarkeit; die Frage der ökonomischen Verteilungsungerechtigkeit wurde gestellt.

Die Mischung war bunt: von Industrielobby bis zum Schilkrötenschutzaktivisten, von staatstragenden NRO bis zu Aktionsgruppe war alles vertreten. So verwundert die Vielstimmigkeit der Protestchöre nicht. ´Im Anschluß an einen friedlichen Marsch von etwa 40.000 Gegnern der WTO-Tagung störten militante Demonstranten die Anfahrt der Konferenzteilnehmer, indem sie Straßenkreuzungen blockierten und uns sich aneinanderketteten." (taz, 2.12.1999, S.1) Solche oder ähnliche Kommentare in den Medien zeugen jedoch von Unkenntnis der Situation. Auch Clinton hat bei seinem Versuch der Vereinnahmung der Proteste immer wieder zwischen verständlichem Protest und der Militianz als Inkarnation des Bösen unterschieden. Zuerst einmal bleibt festzustellen, daß nicht von einem einzigen verletzten Polizisten die Rede war, aber inzwischen weit über 500 Menschen im Knast sitzen, weil sie gegen die WTO demonstriert haben. Es hat kaputte Fensterscheiben gegeben. Es hat ein paar friedlich brennende Müllcontainer gegeben, die immer von DemonstrantInnen umzingelt waren und nicht etwa gegen die Polizei eingesetzt wurden. Und all das bei völlig unverhältnismäßigen Maßnahmen, wie die nächtliche Ausgangssperre seit Dienstag nacht. Das Verbot des Kaufes und Besitzes von Gasmasken zeigt doch nur zu gut, worum es der Polizei ging: Die Demonstrationen so effektiv wie möglich zu unterbinden mit welchen Maßnahmen auch immer.

Die Polizei hingegen hat geknüppelt, einzelne willkürlich aus der Menge gezogen und auf dem Asphalt mit dem Gesicht zum Boden liegend erniedrigt, Polizeipferde eingesetzt, Massen an Tränengas eingesetzt, nachbestellt und eingesetzt. Selbst die Militärtruppe ´National Guards' rückten zur Verstärkung Mitte der Woche an. Die Proteste wurden von der Polizei massiv militarisiert. Ohne Gründe zu nennen wird in in Zeitungen in den USA wie auch in der EU von der Militanz der DemonstrantInnen gesprochen.

Die Strategie, die KonferenzteilnehmerInnen am Eintritt in die Verhandlungsräume zu hindern, stellte sich als überaus erfolgreich dar. Am Dienstag mußte die Eröffnungsveranstaltung abgesagt werden, etliche Treffen konnten nicht stattfinden. Damit war die erste Schlappe für die WTO-PlanerInnen offensichtlich.

Hätte es nur eine militante StörerInnengruppe gegeben, wie etwa die obige Beschreibung glauben machen lassen will, dann wäre ein weiträumiger Einlaßstopp für die WTO-Delegierten und die Presse technisch gar nicht möglich gewesen. In Seattle war es die breite Masse an WTO-GegnerInnen, die die Konferenz blockieren wollten und es letztlich teilweise geschafft haben.

Nach dem Castor-Prinzip waren die Proteste überaus erfolgreich: Mehrere Millionen Dollar Sachschaden und Geschäftsausfall sowie die Verzögerung der Veranstaltung, obwohl viel an der Einbeziehung der NRO gearbeitet wurde. Das führt dazu, daß beim nächsten Mal hoffentlich eine noch größere Protestwelle von noch militarisierender Polizeigewalt verdrängt, eingeknastet und gewaltsam zurückgehalten werden muß, um sie zu stoppen. Damit wendet sich dann hoffentlich - ähnlich wie bei den Anti-Castor-Aktionen - das Blatt der öffentlichen Wahrnehmung und die Polizei kann als das wahrgenommen werden, was sie bei solchen Einsätzen ist: Eine Prügeltruppe, die nach politischer Anordnung die Straßen ohne Rücksicht auf Verluste freiräumt. Und damit muß sich auch die Legitimität solcher Art Veranstaltung in Frage stellen lassen.

3. Kritik an der Kritik
Es gibt Argumente der WTO-KritikerInnen, die nicht an der Wurzel des Problems anpacken und sich leicht von rechten GlobalisierungskritikerInnen vereinnahmen lassen. So wird oft die Un-Demokratie der WTO angeprangert und ausgeführt, sie entreiße den Nationalparlamenten die Macht. Bei dieser Analyse bleibt leider völlig unbeleuchtet, wer die AkteurInnen dieses ´Entreißens' sind: Die VertreterInnen der Nationalparlamente selbst haben sich schließlich zur Gründung dieser Institution und ihrer Politik entschieden. Aber diese Kritik verklärt noch mehr: Würde es keine internationale Organisation der Neoliberalisierung geben, dann setzten das die Parlamente auf nationaler Ebene durch. Die gleiche Politik würde dann einfach ein bißchen ineffektiver nicht auf globaler, sondern auf niedrigeren Entscheidungsebenen durchgesetzt.

Die Lobbystrategie vieler NRO scheint zweifelhaft. Während NRO heute soviel Einfluß attestiert wird wie nie zuvor, ist diese scheinbare Macht doch erkauft. Der Preis war die Aufgabe von wichtiger Kritik. Mögen viele Partikularinteressen per NRO nun leichter an die EntscheidungsträgerInnen heranzubringen sein. Doch diese Einflußmöglichkeiten sollten nicht mit Einfluß verwechselt werden: Denn eine fortschrittlichere Politik läßt sich parallel zu der gestiegenen Anerkennung der NRO nicht erkennen: Die WTO trifft jedenfalls keine der ersehnten Entscheidungen für ein faires Handeln, was letztlich allen Menschen zugute kommt, anstatt sich am Profit der Multinationalen Konzerne zu orientieren.

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Seattle Daily vom 4.12.99

WTO-Verhandlungen sind gescheitert!
Was in Seattle der Auftakt für eine weitere globale Neoliberalisierungsrunde werden sollte, ist gescheitert. In Pressekonferenzen von der US-Handelsbeauftragten Barshevsky, sowie von den EU-Kommissaren Lamy (Handel) und Fischler (Agrar) ist die WTO-Konferenz in Seattle für abgebrochen erklärt worden. Die geplante Verhandlungsrunde sei damit aufgeschoben. Man will sich eine Denkpause einräumen, so die offizielle Formulierung. Von den 135-WTO-Mitgliedsstaaten wird es keinerlei Schlußerklärung geben. Weder schriftlich, noch in den Pressekonferenzen wird erläutert, was zum Scheitern der Runde führte.

Kritik vieler Länder der Zweidrittelwelt am Verfahren
Fest steht: Seit zwei Tagen haben sich in schriftlichen Erklärungen sowohl Lateinamerika, die Karibik, als auch die Organisation Afrikanischer Einheit über die massiv untransparenten Verhandlungen beschwert. Die Afrikanischen Länder schrieben, daß sie unter derartigen Umständen, in denen sie Zugang nur zu den wenigsten entscheidenden Sitzungen hätten,nichts unterschreiben könnten. Da scheinen sie aus der letzten Verhandlungsrunde gelernt zu haben. In Marrakesh haben viele Länder Dokumente unterschrieben, von denen sie erst Jahre später den gesamten Inhalt abschätzen konnten.
Auch EU-Kommisar Lamy bescheinigte den Verhandlungen einen extremst chaotischen und manipulativen Charakter, die es in diesem Ausmaße seit den 21 Jahren des GATT-Bestehens noch nicht gegeben hätte.

Inhaltliche Differenzen ungelöst
Aber neben den Verfahrensproblemen gab es auch die massiven inhaltlichen Differenzen. Im Bereich der Landwirtschaft hätte die EU das Prinzip er Multifunktionalität im Rahmen einer umfassenderen Runde fallengelassen (siehe hierzu anschließenden Hintergrundtext). Genau das aber wollten die USA nicht: Sie wollten lediglich die bereits in Marrakesh vorgesehenen Themen Agrar und Dienstleistungen verhandeln, die sogenannte 'built-in agenda'. Das haben sie nun auch erreicht: Durch das Scheitern einer neuen Verhandlungsrunde werden nur diese zwei pflichtgemäß neu zu regeln Themen besprochen.

So liegt denn auch der Vorwurf an die USA nicht fern, daß sie eine Einigung absichtlich torpediert haben. Das läßt sich etwa festmachen an Clintons Forderung, das Verbot der Kinderarbeit mit Sanktionen gegen die Länder zu verbinden, die sich nicht daran halten. Überhaupt Arbeitthemen in der WTO zu verhandeln, stieß im Vorfeld bereits auf großen Widerstand in der Zweidrittelwelt. Daß diese nicht mit Sanktionsmechanismen einverstanden sein würden, war allen klar.

Damit haben zwar die USA das erreicht, was sie wollten - und das ist gerade in Vorwahlkampfzeiten wichtig. Aber die WTO steckt nun auch insgesamt in einer Krise. Das könnte sich letztlich zuungunsten aller BefürworterInnen einer weiteren globalen Neoliberalisieurngsstrategie auswirken.

Proteste haben einen Etappenziel errungen
Soviel zu den Verhandlungen innerhalb des Convention Centres. Daß auch andere Faktoren zum Scheitern der Konferenz beigetragen haben,
steht außer Frage. Die Proteste in Seattle waren themenübergreifend, international, kreativ und groß. Sie haben es geschafft, die Konferenz zu verzögern und sie in einem Licht der Intransparenz, Ignoranz und Polizeigewalt erscheinen zu lassen. Viele weitangereiste Delegierte werfen den USA vor, sie hätten die Konferenz nicht genug gesichert und im Vorfeld zu wenig gegen die Demonstrationen getan. Die Vereinigten Staaten wiederum taten so, als würden sie die Anliegen "des friedlichen Teils der Protestierenden" aufnehmen, um die starke 'Verunsicherung' in der Bevölkerung' zu mindern.

Das Ergebnis ist das beste, was bei der WTO-Konferenz in Seattle herauskommen konnte:
Ein Desaster für die WTO, ein Sieg für die WTO-KritikerInnen, die sich über Teilinteressen und Ländergrenzen hinweg als eine internationele 'kritische Masse' zusammengefunden und gekämpft haben. Bleibt zu hoffen, daß sich dem Protest mehr Menschen anschließen, um die nächsten Verhandlungen wieder in den Sand zu setzen.


Hintergrundinformation

Das Agrarabkommen
Das Agrarabkommen der Uruguay-Runde stellt Regeln über internationalen Lebensmittelhandel und inländische Landwirtschaftspolitk auf. Diese Regeln haben den schnellen Konzentrationsprozeß der Agrarwirtschaft auf wenige große Unternehmen noch beschleunigt und die Selbstversorgung wirtschaftlich armer Länder durch Subsistenzlandwirtschaft unmöglich gemacht. Bei diesem Abkommen konnten die Industrieländer größtenteils ihre ständig steigenden Agrarsubventionen festschreiben. Für die Agrarmärkte der Zweidrittelwelt wurde allerdings eine weitere Liberalisierung durchgesetzt. Das heißt auch, daß die sogenannten Entwicklungsländer ihre Märkte für die Agri-Businessen aus dem Norden öffnen müssen. Durch ihre Subventionen veranlassen die Industrieländer Produktionen, die den eigenen Bedarf übersteigen. Exportsubventionen dienen dann dazu, die Überschüsse auf dem Weltmarkt verkaufen zu können. Dadurch werden die Weltmarktpreise künstlich nach unten gedrückt, was sowohl die Einkünfte, als auch die Anteile der Zweidrittelwelt am Weltmarkt reduziert. Auch die Dumping-Techniken der Industrieländer und ihre abgeschirmten, geschützten Exportmärkte unterwandern den Versuch des Südens, sich wirtschaftlich zu entwickeln. All diese Regelungen innerhalb des WTO-Systems widersprechen damit dem Prinzip des Freihandels komplett. Weitere Folgen sind, daß lokale ProduzentInnen keine Chance haben, ihre Produkte zu verkaufen. Das führt unter anderem zu einer steigenden Anzahl von hungernden Menschen und einer massiven Abwanderung in die Städte.

Keine Änderung in Sicht
Es stehen längst die Unterstützung für soziale, ökologische und regionale Produktion an, was mit einer Streichung der, in vielerlei Hinsicht unsinnigen, Exportsubventionen einhergehen müßte. So könnte eine Agrarpolitik gestaltet werden, die bisherigen unfairen Protektionismen, die nur dem Norden zugute kommen, abbaut. Die EU will allerdings paradoxerweise mit dem Argument der Multifunktionalität ihre Interessen durchsetzen. Unter Multifunktionalität ist der Schutz der Vielseitigkeit der Landwirtschaft zum Erhalt kleinbäuerlicher Strukturen und ihre Funktion zum Schutz der Umwelt zu verstehen. Die Entwicklung in der EU zeigt jedoch in die entgegengesetzte Richtung. Die ökologische Landwirtschaft wird im Vergleich zum konventionellen Abbau nicht extra gefördert, mehr und mehr kleine Betriebe konnten dem Konkurrenzdruck der großen Agrarmultis nicht standhalten und mußten aufgeben. In großem Ausmaß werden im EU-Agrarbereich umweltschädigende Subventionen eingesetzt. Auch der Fischereisektor ist davon direkt betroffen. Mit den Fischereisubventionen finanziert die EU eine Flotte, die 50% Überkapazität hat, und in großem Umfang für die Überfischung der Weltmeere verantwortlich ist. Die Multifunktionalitätsklausel ist hiermit nur eine neue Finte, um die eigenen Agrarmärkte weiterhin abzuschotten. Während der Verhandlungen kristallierte sich nun heraus, daß die EU auf die Multifunktionalitätsklausel verzichten würde, um stattdessen auf den Artikel 20 des Agreement on Agriculture (AoA) zurückzugreifen. Dieser betont, daß ein weiterer Reformprozeß bei den `non-trade concerns` zu beachten sei. Darunter sind unter anderem Umweltschutzmaßnahmen, Ernährungssicherheit und die Entwicklung von ländlicher Gebiete zu verstehen. Als Gegenleistung erwarte die EU dann aber auch eine umfassendere Verhandlungsrunde. Diese relativ unnachgiebige Haltung hat mit zum Scheitern der Verhandlungen beigetragen.

Die Uhr läuft
Viele Verbündete hat die EU jedoch nicht. Auch wird die Zeit knapp. 2004 endet die Friedensklausel für Agrarsubventionen (GATT-Vertrag Art. 13/20). Diese würde sich nur einstimmig verlängern lassen. Von heute auf morgen werden dann alle Exportsubventionen illegal. Wer sich nicht daran hält, kann vor dem WTO-Schiedsgericht verklagt werden. Aus diesem Grund versuchte die EU, möglichst viele Verhandlungsthemen auf die Agenda dieser WTO-Konferenz zu setzen, um bei den Verhandlungen Zugeständnisse in einem Bereich mit dem Agrarbereich aufrechnen zu können. Diese Rechnung ist offenbar nicht aufgegangen. Unklar ist, wie es im Agrarsektor auf der nächsten Konfernz in Genf weitergeht.

VerbraucherInneninteressen - wen interessiert denn das?
Nicht nur die Entwicklungsländer haben unter den WTO-Regelungen zu leiden. Auch die VerbraucherInnen der Industrieländer bekommen die negativen Auswirkungen zu spüren. Die Sicherheitsstandards der Produkte sinken immer weiter ab. Nahrungsmittel werden immer weniger oder statt staatlich einfach von der Industrie selbst durchgführt. Gleichzeitig nehmen Pestizidrückstände an Obst und Gemüse immer weiter zu. Kurzfristig mag sich das rechnen, aber für VerbraucherInnen und den Staat als (teilweise) Verantwortlichen für die Folgekosten wie Umweltverschmutzung und Gesundheitsschäden ist diese Landwirtschaftspolitik schädlich.

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Seattle Daily vom 3.12.99

Polizei schlägt weiter zu
Karnevalähnliche Demonstrationen haben gestern in Seattle die Medien Lügen gestraft, daß es sich bei den Protestierenden um einen Haufen radikaler Schläger handele. Zig-tausende Demonstranten zogen singend und tanzend, mit kreativen Kostümen und Figuren ausgestattet, durch die Stadt. Diesmal ging es ihnen mit ihrem Protest nicht nur um die WTO, sondern auch um das ausnahmslos brutale Polizeiverhalten. Hunderte von friedlichen Demonstranten sind bereits verhaftet worden, sie werden unter menschenunwürdigen Verhältnissen im Gefängnis gehalten, auch dort werden noch Schlagstöcke und Tränengas eingesetzt, vielen wird das Recht verweigert, mit ihren Anwälten Kontakt aufzunehmen. Die anhaltenden Proteste zeigen jedoch, daß die Menschen sich nicht einschüchtern lassen, die Polizei durch ihre brutale Vorgehensweise vielmehr das Gegenteil erreicht hat. Viele BürgerInnen Seattles, die sich um die WTO-Verhandlungen wenig kümmern, schließen sich aus Ärger über die Polizei den friedlichen Protesten an.

Verbot von Kinderarbeit bei Totschweigen von Zwangsarbeit
Auch in den Sitzungsräumen geht es heiß her. Obwohl es immer unwahrscheinlicher wird, daß sich die RegierungsvertreterInnen bis heute abend auf eine neue Verhandlungsrunde einigen können, wurde gestern doch
ein Papier unterzeichnet: ein Abkommen gegen Kinderarbeit. Das mag auf den ersten Blick positiv klingen, ist aber in den Auwirkungen höchst gefährlich. Kinderarbeit bietet in vielen Ländern und für viele Familien die einzige Möglichkeit zum Überleben. Anstatt also Kinderarbeit als Existenzvoraussetzung auch nur ohne ein Fünkchen finanzieller Unterstützung umsetzen zu wollen, wären Regeln und Rechte für nicht nur für die arbeitenden Kinder notwendig.
Die Zweidrittelwelt vermutet hinter dem Papier eine neue Form von Protektionismus - und hat damit recht. Denn wenn alle Welt gemeinsam etwas gegen ausbeuterische Arbeitsverhältnisse unternehmen wollte, müßte zu allererst die Zwangsarbeit - ob von Kindern oder Erwachsenen ausgeführt - verboten werden. Von so einem Verbot wären allein in Deutschland mehrere hundert Unternehmen betroffen, die Produkte mit Hilfe von ZwangsarbeiterInnen (z.B. in Knästen) herstellen lassen. Das erklärt, warum es in diesem Bereich noch zu keinerlei internationalem
Papier gekommen ist.
So wird das Verbot der Kinderarbeit als die Erfüllung einer Forderung der Protestierenden verkauft. Doch die Forderung ist das Gegenteil von sozialer Sicherheit: So ist eine der lebensnotwendigen Einkommensquellen der ärmsten Familien illegalisiert, während Kinder wie Erwachsene viel dringender das Organisationsrecht sowie das Recht auf kollektive Lohnforderungen bräuchten..

Hintergrundinformationen

MAI oh MAI
Im September 1998 errang eine internationale Bewegung von Basisgruppen, NGOs, Gewerkschaften und anderen einen ihrer größten Erfolge. Die Beerdigung des MAI: Das Multilaterale Abkommen über Investitionen war geplant als mächtiges, globales Regelwerk, daß Staaten auf allen Ebenen in ihrer eigenständigen Wirtschaftspolitik nahezu vollkommen handlungsunfähig gemacht hätte. Diese Tatsache an sich ist besorgniserregend genug, schlimmer wiegt jedoch noch, daß Regierungen diese Verantwortungsaufgabe aus freien Stücken unternehmen.
Unter dem im MAI definierten Begriff „Investition" wäre
nämlich alles, was die Macht von Multinationalen Unternehmen auf Kosten von BürgerInnen ausgeweitet hätte, eingeschlossen gewesen: jede Art von „Geschäftstätigkeit" eines Investors mit seinem „beweglichen und unbeweglichen, greifbaren und nichtgreifbaren" Vermögen. Dies reicht unter anderem von Fabrikbau und Finanzspekulation über Leistungsanspruch, Konzession auf Land, Bodenschätze, geistiges Eigentum bis hin zu Dienstleistungen. Den verhandelnden Parteien innerhalb der OECD (= Orgnaisation for Economic Co-operation and Development, mit Mitgliedsstaaten wie der USA, Canada, EU, Schweiz, Japan, Ungarn, Tschechien, Polen, Korea und Mexiko) war sehr wohl bewußt, um was für ein heißes Eisen es sich bei
diesem Thema handelt. Zwei Jahre wurde deshalb, getrieben von den großen Wirtschaftlobbies, im Geheimen darüber verhandelt. Die Öffentlichkeit sollte dann vor beschlossene Tatsachen gestellt werden, Widerspruch sinnlos. Trotzdem gelangten 1997 Informationen über das Abkommen an die Öffentlichkeit, die darauf sich formierende Protestbewegung aus den unterschiedlichsten Gruppen nahm überraschende Ausmaße an. Im September 1998 scheiterten die Verhandlungen, letztendlich wegen dem Rückzug Frankreichs, der größtenteils den internationalen Protesten zuzuschreiben ist.

Alle guten Dinge sind zwei
Nachdem die OECD mit dem MAI eine herbe Niederlage einstecken mußte, kamen nun einige Länder, angeführt von der EU, unter Druck von der Wirtschaftslobby, auf die Idee das MAI unter einem anderen Namen in den WTO-Verhandlungen wieder aufleben zu lassen. Ein zweiter Anlauf, um Profitinteressen über BürgerInneninteressen zu stellen.

Nach wie vor geht es um folgende Punkte, die von den Mitgliedsländern verpflichtend umgesetzt werden müßten:

  • Ausländischen Investoren müssen die gleichen Rechte eingeräumt werden wie inländischen (National Treatment).
  • Nicht erlaubt ist, Investitionsbedingungen wie die Forderung nach Beschäftigung von InländerInnen, Reinvestitionen, Bezug von inländischen Rohstoffen oder Berücksichtigung von Sozial- oder Umweltauflagen zu stellen. Das heißt z.B. daß die bevorzugte Einstellung von Behinderten hiermit illegal wäre. Auch Produktboykotte wie beispielsweise Nike-Turnschuhe oder Nestlé-Produkte wären unter diesem Abkommen strafbar.
  • Jegliche Einschränkungen oder Kontrolle von Devisenspekulationen ist verboten (was unter anderem zu der Finanzkrise der asiatischen Märkte geführt hat).
  • Mitgliedsstaaten werden dazu gezwungen, ihre Gesetzgebung sukzessive an die MAI-Gesetze anzupassen. Dieses sogenannte „roll back-Verfahren" würde dazu führen, daß nationale Standards auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner zurückgeschraubt werden.
  • Das Abkommen gilt grundsätzlich für alle Wirtschaftsbereiche, außer für solche, die ausdrücklich ausgenommen wurden (top-down). Dies würde z.B. die Kontrolle zukünftiger Technologien (wie Biotechnologie, wo die Folgen heute noch nicht abschätzbar sind) unmöglich machen. Anzumerken ist hier, daß in Seattle keinerlei Wille vorhanden ist, Ausnahmen zu besprechen. Die GATS-Verhandlungen machen dies besonders deutlich: nicht einmal dem Kultur- und Gesundheitsbereich werden Ausnahmeregeln zugestanden.
  • Ausländische Investoren haben die Möglichkeit, Staaten, aber auch lokale Körperschaften vor sogenannten MAI-Gerichten auf Ausgleichszahlungen zu verklagen, wenn sie der Meinung sind, daß nationale oder lokale Gesetze ihre zukünftigen Gewinne gefährden. Das dies nicht funktioniert, hat der WTO eigene Gerichtshof in den letzten fünf Jahren anschaulich gezeigt: „Recht" gesprochen wird nur im Sinne der WTO-Regeln, Umwelt- und VerbraucherInneninteressen oder soziale Belange sind hierbei ohne Bedeutung.

Mehr Wohlstand für Alle?
Besonders für die 2/3-Welt hätte eine Einbindung von MAI 2 in die WTO katastrophale Folgen. Es würde ihnen damit jegliche Möglichkeit genommen, ihre nationalen Märkte und einheimischen Firmen vor ausländischen Investoren zu schützen. Eine weitere Ausbeutung von ArbeitnehmerInnen und der Menschen die unter der Armutsgrenze leben wäre vorprogrammiert. Das Versprechen, daß liberalisierte Weltmärkte mehr Wohlstand und eine lebenswertere Gesellschaft für alle bringen, zeigt hier besonders deutlich mit was für Lügen bei diesen Verhandlungen geschachert wird. Es geht hier in keinster Weise um mehr Wohlstand für alle.

Der hinterhältige Versuch das MAI nun unter einem neuen Namen doch durchzusetzen zeigt, wie wenig sich PolitikerInnen dem Allgemeinwohl verpflichtet fühlen. Es verdeutlicht, wie leicht sie unter dem Druck von multinationalen Unternehmen einknicken und wie Marionetten unter der Führung der Multis handeln. Die aktuellen Proteste in Seattle und die Erfahrungen aus den MAI-Verhandlungen sollten ihnen eine Warnung sein, daß die Gesellschaft nicht tatenlos zusehen wird, wenn Regierungen ihre Verantwortung freiwillig an die Wirtschaftunternehmen abgibt.

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Seattle Daily vom 2.12.99

Erste Ausgangssperre in Seattle seit dem 2. Weltkrieg
Bis zum Mittwoch abend (Ortszeit) hat die Polizei insgesamt mindestens 500 Festnahmen vorgenommen. Doch nicht die Polizei hat es geschafft, die absurdesten Maßnahmen zu vollziehen - dieser Preis gebührt dem Bürgermeister von Seattle.
Außer der Verhängung einer weiteren Ausgangssperre (erstmalig seit dem 2. Weltkrieg) von Mittwoch auf Donnerstag Nacht im Bereich der Innenstadt hat der Bürgermeister von Seattle den Verkauf und Besitz von Gasmasken für jeden außer Polizeibeamten verboten. Damit will er sicherstellen, dass die Polizei Tränengas und Reizsprays wirkungsvoller einsetzen kann. Verstöße gegen die Anordnung von Bürgermeister Paul Schell können laut der Verordnung mit 500 Dollar (knapp 1.000 Mark) und bis zu sechs Monaten Gefängnis bestraft werden. Es bleibt abzuwarten, ob die nächste Ausgangssprerre mit einem Verbot von kauf und Benutzung von Fahrradhelmen verbunden ist, damit die Polizeipferde erffektiver eingesetzt werden können. FREIhandelskonferenz eben.

Weitere Demonstrationen
Die Menschen in den Straßen Seattles harren trotz der enormen Gewalt der Polizei aus. Heute wurde direkt vor dem Verhandlungsgebäude eine Person aus der Menge herausgegriffen, brutal zu Boden geschlagen und dort als Warnung vorgeführt. Als direkte Reaktion darauf strürmten die DemonstrantInnen erst ein Stückchen nach vorne, wo sie aber direkt von Polizei und der Spezialkräfte der National Guards zurückgedrängt wurden. Es gab weitere Festnahmen, Tränengaseinsätze und immer wieder Kämpfe darum, wer die Macht über die Strassen Seattles hat.

Hektik auf der Konferenz/Biodiversitätskonvention in Gefahr!
In den Gängen war die hektische Atmosphäre des ersten vollen Verhandlungstages deutlich spürbar. Interessant ist nach wie vor das gemeinsame Arbeitspapier (siehe auch Seattle Daily von gestern) der Europäischen Union, Ungarns, Japans, Süd-Koreas, der Türkei und der Schweiz. Enthalten ist der brisante Vorschlag, eine Arbeitsgruppe zum Thema Handel und Biotechnologie einzurichten. Das mag sich - wie so vieles von dem WTO-Speak - harmlos anhören, ist es aber absolut nicht. Mit der Gründung der Arbeitsgruppe sollen andere internationale Konventionen zu dem Thema in der Mottenkiste verschwinden.
Insbesondere die Biodiversitätskonvention (BDC) und darin enthalten das Bio Safety Protocoll, für das die Verhandlungen im Januar 2000 in Montreal abgeschlossen werden sollen, sind gefährdet. Die USA haben aufgrund des starken Gegenwindes der Industrie die BDC nicht unterschrieben, obwohl diese Konvention in Teilen sogar Biotechnologiefreundlich ist.

Inzwischen gibt es eine Initiative des 133-Kommitees - ein Ausschuss, in dem die Vertretungen der Handelsministerien der EU - Länder sitzen. In einer Pressemitteilung wird versucht klarzustellen, dass es eben nicht um eine Unterminierung des Bio safety Protocolls ginge. Ob diese Position sich allerdings durchsetzen wird, ist höchst fraglich.


HINTERGRUND:

Dienstleistungsliberalisierung
Es kann nicht oft genug betont werden: Vor der Aufnahme weiterer Verhandlungen bezüglich der Fortführung der Liberalisierung des Welthandels müssen die bisher erzielten Vereinbarungen auf ihre Auswirkungen überprüft werden. Besonders gilt das für den Dienstleistungssektor, denn dort tritt die ganze Ungerechtigkeit der bisherigen WTO-Politik ungeschminkt zutage.

General Agreement on Trade in Services (GATS) -
Wir machen uns die Welt, wie sie uns gefällt.
Seit dem Beginn der Uruguay-Runde in den 80er Jahren hat sich die Weltwirtschaft grundlegend verändert. Nicht nur der Zusammenbruch des Sozialismus hat die Welt durcheinander gewirbelt, auch die Schwerpunkte des Welthandels haben neue Bahnen genommen. Besonders erwähneswert ist dabei natürlich die Multimediarevolution, doch auch in anderen Bereichen gab und gibt es harte Verteilungskämpfe um Märkte und Marktanteile. Besonders entscheidend ist der Dienstleistungssektor , der in den 90er Jahren wie kein anderer Wirtschaftszweig gewachsen ist. Auch für ihn gibt es internationale Verträge.
Das GATS-Abkommen ist hier an erster Stelle zu nennen. In diesem Allgemeinen Abkommen über den Dienstleistungssektor sind über 160 Sektoren und Untersektoren des Handels zusammengefaßt. Dieses Abkommen führt zu schwerwiegenden Ungerechtigkeiten, die zu Lasten der Zweidrittelwelt (sogenannte Entwicklungsländer) gehen.

Darüber können auch die minimalen Zugeständnisse der Industrieländer gegenüber der Zweidrittelwelt nicht hinwegtäuschen. Die Zweidrittelwelt erhält lediglich einen längeren Zeitrahmen um z. B. das Bankenwesen oder Kernbereiche des öffentlichen Lebens zu privatisieren.
Genau diese Verzögerungen heißen nichts weiter als eine Verschiebung des Zusammenbruchs der Banken in diesen Regionen. Und das wiederum liegt vor allem im Interesse der Industrieländer. Doch was danach kommt weiß keiner.

Diese zeitliche Spreizung der Liberalisierungspflicht für die sogenannten Entwicklungsländer ist bei den Verhandlungen völlig in den Hintergrund getreten. Wie inkonsistent die Vorschläge der EU sind, lässt sich leicht bei einem Vergleich des Dienstleistungssektors mit dem Agrarbereich feststellen:
Die EU gemeinsam mit den USA schaffen für ihre Landwirtschaftsubventionen den legalen Boden innerhalb eines WTO-Systems, das staatliche Regulierung eben nicht zuläßt. Bei den Dienstleistungen allerdings ist die Europäische Union die Verfechterin des schnellst möglichen Liberalisierung.
Und das soll so gehen:
Alle WTO-Mitgliedsländer sollen klare nationale Regulierungen im Bereich der Dienstleistungen einführen. Die Länder der Zweidrittelwelt sollen besser als bisher in das Dienstleistungsabkommen integriert werden. Das stellt sich als besonders attraktiv für die Industrienationen dar, wenn dann auch Telekommunikation und Finanzdienstleistungen den GATS - Disziplinen unterworfen würden. Dabei werden Dienstleistungsbereiche mit Interesse für die Länder der Zweidrittelwelt, wie z. B. die Bewegungsfreiheit von Arbeitskräften, nicht berücksichtigt.
Die Menschen aus der Zweidrittewelt haben meist nur ihre Arbeitskraft, die sie anbieten können, diese Dienstleistung wird jedoch als Migration gewertet.

Auch Hilfen zur Etablierung eines Dienstleistungsektors in den Entwicklungsländern werden von den Industrienationen nicht gewährt, sondern es wird auf die Expansionschancen der Konzerne aus den Hightech-Ländern gesetzt.
Für weitere Liberalisierungsschritte im Dienstleistungsbereich ist keine neue Verhandlungsrunde notwendig, da das GATS ohnehin weitere Verhandlungen erlaubt. Diese sollten allerdings im Geiste des Abkommens geführt werden, d.h. sogenannten Entwicklungsländern die versprochenen Sonderrechte auch zugestanden werden. Länder der Zweidrittelwelt müssen die Möglichkeit haben, Auswirkungen einer schnellen Marktöffnung im Dienstleistungsbereich sorgfältig auszuwerten und abzuschätzen - z.B. bei Kapitalmärkten. Für den Dienstleistungsbereich gilt deshalb besonders, daß zunächst eine sorgfältige Analyse der Auswirkungen des bisherigen Abkommens sinnvoll wäre, bevor überhaupt neue Maßnahmen ergriffen werden.

Das aktuelle Gemeinsame Arbeitspapier der Europäischen Union und einiger anderer Staaten besagt explizit, kein Sektor solle aus dem GATS - Abkommen ausgenommen werden. Das heißt, auch Kultur, Gesundheit, Bildung und andere öffentlich Dienste sollen dem freien Markt preisgegeben werden. Damit ist die vor allem von französischer Seite unterstützte Forderung bezüglich der Ausnahme für den Kultur-Bereich hinten runter gefallen.

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Seattle Daily vom 1.12.99

Seattle 1.12. erster Tag der WTO-Verhandlungen: Die Lage auf den Straßen Seattles ist vollkommen außer Kontrolle geraten. Unter Journalisten kursiert das Gerücht, daß es sich um die größten Ausschreitungen seit Vietnam-Zeiten handelt. Über die Stadt wurde eine Ausgangssperre verhängt. Die Protestaktionen waren so effektiv, daß zahlreiche Delegierte nicht durch die Straßen zu den Verhandlungen kommen konnten, die Eröffnungszeremonie sogar abgesagt werden musste. Heute ist die Innenstadt abgeriegelt, die Demonstranten wurde in die Außenbezirke verbannt, wo die Polizei grundlos weiter Tränengas und Schlagstöcke einsetzt. Da die Zahl der Demonstranten jedoch die Zahl der Polizisten bei weitem übersteigt, wird auch heute versucht werden, Delegierte am erreichen der Verhandlungen zu hindern.

Auch im Bereich der Tagesordnung ist etwas Bewegung ins Spiel gekommen: Die USA haben sich etwas der Position der EU genähert, aus der sogenannten buildt-in-agenda der Uruguay-Runde welche nur Dienstleistungen und den Agrarbreich zur Neuverhandlungen vorsieht, eine buildt-in plus zu machen. Diese würde als zusätzliche Themen noch e-commerce, Dispute Settlement Understanding (DSU) sowie ein zweites Information and Technology Agreement beeinhalten. Weitere von der EU vorgeschlagenen Themen für eine single-undertaking Runde, wie z.B. TRIPs, Anti-Dumping, Investitionen und Subventionen & Counter Vailing, wollen sie jedoch nicht verhandeln.

Die wirklich heiße Information des Tages ist eine neues Papier: das ´Common Working Paper of the European Community, Hungary, Japan, Southkorea and Switzerland`. Hier wird der Vorschlag der USA übernommen, Biotechnologie in die Verhandlungen mitaufzunehmen. Der Vorschlag aus der USA lautet, eine working group zur ´modern biotechnology` einzurichten, im Common Working Paper handelt es sich um ein ´fact finding mandate`. Die Sache bleibt die Gleiche. Falls es soweit kommen sollte, könnte das das Aus des Biodiversitätsabkommen bedeuten. Das Biodiversitätsabkommen ist für internationale Sicherheitsstandards grenzüberschreitender Bewegungen von gentechnisch veränderten Organismen zuständig. Auf Druck der Industrie nicht von der USA unterschrieben, würde dieser neue Vorschlag, wenn er denn in die Tat umgesetzt wird, bedeuten, daß die USA ihren Willen durchgesetzt hat und die Kontrolle über ein so brisantes und gefährliches Thema nun auch mit Hilfe der EU der WTO einverleibt wird. Eine einigermaßen unabhängige und sichere Kontrolle von gentechnisch veränderten Mechanismen wäre damit hinfällig.


Nachhaltigkeit statt Umweltschutz
Mehr Schein als Sein

Die zahlreichen Bekenntnisse der WTO für eine "nachhaltige Entwicklung" sind nichts weiter als eine bewußte Täuschung der Öffentlichkeit, um sie ruhig zu halten. Auch innerhalb der nächsten Liberalisierungsrunde wird es heißen "the same procedure as every year", Sozial- und Umweltklauseln sind reines Schmückwerk: Der freie Markt regiert weiterhin - grenzenlos.

In der WTO-Präambel heißt es:
"Die Parteien zu diesem Übereinkommen erkennen an, daß ihre Beziehungen im Bereich des Handels und Wirtschaftens darauf abzielen sollen, (...) die bestmögliche Nutzung der Naturschätze in Übereinstimmung mit dem Ziel des nachhaltigen Wirtschaftens (sustainable development) zu ermöglichen, um die Umwelt zu schützen und zu erhalten (...)."

In der Praxis steht der liberale Welthandel über allem. Die WTO stellt sich - über alle nationalen und internationalen Gesetze zum Schutz der VerbraucherInnen und der Umwelt hinweg und legetimiert den ungehemmten Raubbau an den natürlichen Ressourcen. In den letzten Jahren ist der internationale Handel zu einem der bedeutendsten Faktoren der globalen Umweltzerstörung geworden.

Viele UmweltschützerInnen und Nichtregierungsorganisationen (NGO) beziehen sich noch heute positiv auf das Prinzip der "Sustainabile development" und die in Rio 1992 beschlossene Agenda 21.

Nach einer solchen Positionierung fällt es schwer, glaubhaft die WTO zu kritisieren. Schon in der Agenda 21 wird der Privatwirtschaft die Rolle des "gleichberechtigten Partner(s)" der Regierungen zugeschrieben.

Seit der weiten Verbreitung des Konzeptes ist aus der deutschen Umweltbewegung keine Kapitalismuskritik mehr zu vernehmen. Stattdessen wird suggeriert, daß die ganze Welt und "unser Wirtschaftssystem", an dem alle gleichermaßen beteiligt seien, ein Problem habe. Im Nachhaltigkeits-Konzept geraten Akteure (wie die Industriekapitäne der westlichen Welt) aus dem Blickfeld. Handel wird - genau wie von der WTO - als Selbstzweck verfolgt. In der Logik der Studie "Nachhaltiges Deutschland" des Wuppertal-Institutes kann der Umweltverbrauch der "ersten Welt" auch dadurch verringert werden, indem Waffen aus Industrieländern in den Trikont geliefert werden. Ob dadurch Menschen und Umwelt geholfen wird, ist aber mehr als fraglich.

Zurück zur WTO: Hinter verschlossenen Türen werden nationale Richtlinien (Bsp.: EU-Importverbot für Hormonrindfleisch) sowie wichtige multilaterale Umweltabkommen wie die Basler Konvention zum Giftmüllexport, das Montrealer Protokoll zum Schutz der Ozonschicht und das Artenschutzabkommen außer Kraft gesetzt. Schließlich könnten diese *unerlaubte Handelshemmnisse" sein und demnach nicht "WTO-kompatibel". Deshalb wird bei Konflikten im Zweifelsfall immer gegen diejenigen entschieden, die ihre höheren Umwelt-, Gesundheits- oder Sozialstandards behaupten wollen.

Es kommt noch schlimmer
Durch die in Seattle geplante Harmonisierung der technischen Handelshemmnisse (TBT) und die Anwendung gesundheitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen (SPS), wird sich die Lage weiter verschärfen: Die Mitgliedsstaaten werden in absehbarer Zeit ihre nationale Gesetzgebung im Umwelt-, Gesundheits- und Verbraucherschutz auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zurückschrauben müssen.

Nicht mit dem Süden
Auf Druck zahlreicher NGOs haben sich die Industrieländer nun darauf geeinigt, wenigsten pro forma über soziale und ökologische Standards zu verhandeln. Angst über zu weit reichende Ergebnisse braucht allerdings niemand zu haben: Besonders die Entwicklungsländern wollen keinerlei Konzessionen hinsichtlich der geforderten Verknüpfung von Sozial- und Umweltstandards mit dem Welthandel machen. Diese Abwehrhaltung ist nicht per se gegen derartige Standards gerichtet, sondern vielmehr gegen ihre Einbindung in die WTO, da die Kriterien zur Auswahl der einzelnen Sozial- und Umweltstandards weiterhin unter dem Aspekt des Freihandels ausgewählt werden. Dadurch werden Gewinner und Verlierer von vornherein festgelegt. Nicht ohne Grund bezeichnen viele Entwicklungsländer diese Absicht als eine neue Art des Protektionismus, der zum Ziel hat, ihren Produkten den Zugang zu den Märkten in den Industrieländern zu erschweren. Wenn es den Industrieländern wirklich ernst wäre mit ökologischen und sozialen Belangen, sollten sie stattdessen auf einer Anerkennung internationaler Institutionen (wie der UN) und Abmachungen seitens der WTO bestehen. Alles andere ist sinnlose Augenwischerei. Es gibt keinerlei Erklärung dafür, daß die WTO nichts und niemandem Rechenschaft schuldig ist.

Die Regierungen dürfen sich nicht nur für eine möglichst schrankenlose, sondern für eine faire, sozial- und umweltverträgliche Welthandelsordnung einsetzen.

Für den Umwelt-Aspekt sind die wichtigsten Forderungen:

  • Ökologische Reform der WTO
  • Abbau umweltschädigender Subventionen
  • Umweltstandards für die Produktion
  • Vorrang für multilaterale Umweltabkommen, sowie andere völkerrechtliche Vereinbarungen: Anerkennung der etwa 180 multilaterale Umweltabkommenn, von denen etwa 10 Prozent handelsbeschränkende Maßnahmen enthalten,durch die WTO (vgl. Art. XX GATT). Darüberhinaus müssen der ILO (International Labour Organisation) handlungsfähigere Instrumente zur Seite gestellt werden, um soziale Mindeststandards einfordern zu können.
  • Verankerung des Vorsorgeprinzips: Obwohl der Umweltgipfel von Rio
    (1992) den Grundsatz "im Zweifelsfalle zugunsten der Umwelt" durchgesetzt
    hat, gilt in der WTO bei einem Handelsstreit die Regel, dass der Beklagte
    die Gefahr für Umwelt und Gesundheit beweisen muss. Vom Kläger wird nichts verlangt. Dies muß sich umkehren.
  • Reform des Streitbeilegungsorgan : Mit dem Streitbeilegungsorgan
    verfügt die WTO über einen internationalen Wirtschaftsgerichtshof, der
    niemanden Rechenschaft schuldig ist, und alle umwelt-, sozial, und
    gesundheitspolitsichen Rücksichten als sachfremde und handelshemmende
    Kriterien verwirft.

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Seattle Daily Nacht-Nachrichten 30.11.99

Europäische Nachtnachricht zu den WTO Verhandlungen in Seattle

23:00 Brüssel

1) Lage in Seattle zunehmend unübersichtlich, Kongresszentrum blockiert/
Polizei schießt mit Plastikgeschossen

2) EU Kommissar Lamy minimiert Vorschlag für einen ständigen Ausschuß zu Handel & Arbeit

3) Ilka Schröder schätzt bisherigen Verlauf der Protestaktionen als Vorerfolg ein

1)
Die Lage in Seattle eskaliert stündlich. Es wird von den ersten verletzten Demonstranten berichtet die in den Straßen der Stadt liegen. Die ersten Verhaftungen finden statt. Die Protestierenden haben sich schon an die Tränengaseinsätze der Polizei gewöhnt. Eine neue Dimension bilden die Plasikgeschosse, die die Polizei gegen Demonstranten einsetzte.

Dazu Ilka Schröder:
"Der Polizeieinsatz steht vor einem entscheidenden Punkt. Wenn die Polizei weiter an der Schraube der Gewalt dreht, kann es hier zu einer Katastrophe kommen. Die WTO Verhandlungen sind Augenscheinlich nicht durchsetzbar. Ich plädiere für ihre Absage, zum Schutz aller Beteiligten. Wenn die Lage sich nicht entspannt, dann könnten sich die Proteste weiter radikalisieren."

2)
Obwohl das offizielle WTO Programm noch nicht beginnen konnte, ist der EU Kommissar Lamy schon eingeknickt. Lamy besteht, nach Informationen aus Seattle, nicht mehr auf einem ständigen Ausschuß zu ArbeitnehmerInnenfragen.Dadurch das es nur noch ein Ausschuß geben soll, aber das Wort ständig fehlt, hat Lamy sein EU Mandat verlassen. Der Ausschuß könnte sich nur einmal treffen und könnte sich dann als Erfolg verkaufen,

Ilka Schröder: "Eine noch größere Augenwischerei steht bevor. Nicht einmal die Einrichtung eines ständigen Ausschußes zu ArbeitnehmerInnenfragen soll nun von der EU gefordert werden, Herr Lamy sollte zurück nach Europa fahren, er scheint die Wichtigkeit der ArbeitnehmerInnenrechte nicht zu verstehen.
Obwohl Lamy Unterstützung von vielen Ländern für solch einen ständigen Ausschuß bekommen hat, soll der Ausschuß nun nicht ständig sein.
Protektionisitsche Motivation für diesen Ausschuß, wie sie die Entwicklungsländer befürchten, sind noch nicht von der Hand gewiesen und schon ist das Projekt gestorben."


3)
Die Großdemonstration in Seattle ist ein Erfolg, das steht jetzt schon fest. Es sind so viele Leute hier, daß es sogar möglich ist, auf der einen Seite den Kongressort im Convention Center zu blockieren und dazu noch eine machtvolle Demo durchzuführen.

Ilka Schröder: "Heute ist ein guter Tag im Sinne des Protestes gegen die WTO, von Seattle geht das Signal aus: wehrt Euch gegen die Macht der Konzerne, gegen Ausbeutung und Unterdrückung. Auch wenn z. B. CNN hofft, daß die Proteste, die schon früh am Morgen begonnen haben, durch Regen oder die Müdigkeit der Demonstranten abflauen könnten, ich bin sicher, hier ist nicht nur heute noch einiges zu erwarten."

Weitere Informationen von Ilka Schröder:
Mittwoch 7.00 Uhr MET aus dem Brüsseler Büro

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Seattle Daily vom 30.11.99

Heute fällt der Startschuß zur WTO-Ministerrunde. Von der Ruhe vor dem Sturm war in Seattle gestern jedoch nichts zu spüren. Für jeden Geschmack ist etwas dabei: die Palette reicht von teach-ins, Straßentheater bis zu Podiumsdiskussionen. Als Highlights vom Montag sind besonders die Menschenkette für Entschuldung der ärmsten Länder von Jubilee 2000 sowie eine Hausbesetzung zu erwähnen. Heute, am 30. Nov., wird es nicht nur wegen dem ersten Konferenztag zu noch zahlreicheren Protesten kommen, sondern auch aufgrund des internationalen Aktionstages gegen die WTO. Nähere Infos dazu gibt es unter: http://www.n30.org und http://come.to/n30-de

Parallel zu den Protesten außerhalb des Konferenzzentrums versuchen die PolitikerInnen die kritischen Stimmen der NGOs mit einzubinden, um sie besser unter Kontrolle zu haben. So wurde ihnen gestern z.B. das Konferenzzentrum zur Verfügung gestellt, um ihre Statements vorzutragen. Wer sich noch an die letzte Ministerrunde in Singapur erinnert, mit den hermetischen Abriegelungen der NGOs gegenüber den PolitikerInnen, könnte nun darin einen ersten Demokratisierungsversuch sehen. Aber ist es nicht viel mehr eine Umarmungstaktik, ein reiner Propagandazug, der den NGOs eine Pseudomacht vorgaukelt, aber an der realen Machtverteilung nicht das geringste ändert? Besonders im Hinblick auf das massive Poizeiaufgebot in der Stadt, dürfen an der Redlichkeit dieser Einbindung Zweifel aufkommen.

TRIPs - Die Reise ohne Wiederkehr
Das TRIPs-Abkommen steht für handelsbezogene Aspekte geistigen Eigentums und gilt als Eckpfeiler des WTO-Systems. Ursprünglich als Schutz gegen Produktpiraterie und Fälschungen gefordert, stand am Ende ein Abkommen, dass alle handelsrechtlichen Aspekte des Immaterialgüterrechtes (intellektuelles Eigentum) betrifft. Dabei verwendeten die Industrienationen, insbesondere die USA, den Begriff in der denkbar weitesten Auslegung: ihrer Meinung nach gab (und gibt) es in diesem Zusammenhang kaum eine Frage, die nicht handelsbezogen ist.

Alle Macht den Patenten
Auf Druck der Industrieländer wurden mit TRIPs zwei wesentliche Neuerungen im Patentrecht eingeführt: Zusätzlich zu der bisherigen Patentierbarkeit von Verfahrenstechniken zur Herstellung von Produkten wurde nun auch der Schutz der eigentlichen Erzeugnisse in Form von Sachpatenten zugelassen. Das ermöglichte den Stoffschutz für Lebensmittel und Medikamente - besonders wichtig natürlich für westliche Pharma-, Agribusiness- und Chemiekonzerne. Seitdem versuchen Entwicklungsländer eine Ausnahmeregelung für bestimmte Arzneien durchzusetzen - und scheitern regelmäßig am "nein!" der Industrieländer. Die zweite wesentliche Neuerung gab dem Inhaber eines Verfahrenspatentes das Recht, auch die unmittelbar durch das Verfahren hergestellten Erzeugnisse als sein intellektuelles Eigentum schützen zu lassen. Außerdem ist er berechtigt, sowohl Verbote von Parallelimporten als auch Importverbote von Produkten, die das Patent verletzen, zu veranlassen. Mit einem Sachpatent sind dessen Inhaber von vorneherein alle Herstellungs- und Benutzungsmöglichkeiten des Produkes vorbehalten. Patente können auch die zur Herstellung des Erzeugnisses benötigten oder im Produkt enthaltenen genetischen Informationen umfassen. Die generelle Mindestdauer des Patentschutzes beträgt 20 Jahre.

Die letzte Kolonisierung
Das Wissen und die Ressourcen dieser Welt inklusive genetischer Informationen sollen so zu jahrelangem exklusivem Besitzrecht der Industrie avancieren können. Die Verlierer sind - wie immer - die Entwicklungsländer und die indigenen lebenden Menschen weltweit: deren traditionelles Wissen und biologische Ressourcen enden als Patente westlicher Konzerne. Vor allem traditionelle Medizin und Landwirtschaft sowie genetische Ressourcen allgemein sind davon betroffen.
Ob die Revision des hierfür besonders relevanten TRIPs Artikels 27.3(b) auf die Seattle-Tagesordnung kommt oder die Diskussion im TRIPs-Rat der WTO verbleibt, ist noch unklar. Klar sind aber bereits die Themen, um die es geht. Im Brennpunkt stehen dabei hauptsächlich die Interessen der Biotechnologie-Industrie. Wichtige Punkte sind unter anderem die erneute Frage nach der Patentierbarkeit von Lebensformen sowie eine Abgleichung der TRIPs-Bestimmungen zum Schutz von intellektuellen Eigentumsrechten mit den entsprechenden Artikeln der Konvention zum Schutz der Biologischen Vielfalt (Artenschutzzabkommen). Hier geht es vor allem um die Rechte und das traditionelle Wissen indigener Menschen und lokaler Gemeinschaften.

Doch Patente auf alles Leben?
Artikel 27.3(b) regelt die Patentierbarkeit von Leben und biologischen Reproduktionsprozessen. Noch ist es Staaten erlaubt, Planzen und Tiere (allerdings keine Mikro-Organismen) von der Patentierbarkeit auszuschließen. Dies wird möglicherweise geändert. Die USA haben bereits informell verlauten lassen, dass die Debatte über Patente auf Leben für sie noch nicht vorbei sei. Dagegen sollten nach Ansicht der afrikanischen Staatengruppe Pflanzen, Tiere und auch Mikro-Organismen überhaupt von der Patentierbarkeit ausgeschlossen werden. Eine der Gretchenfragen dieser Diskussion wird lauten: Sollen erfundene, d.h. von Menschen (gen-)technisch hergestellte, Lebensformen patentierbar sein? Eine erfundene Lebensform kann dabei durchaus mit der natürlichen (Pflanze, Tier oder gar Mensch) identisch sein - sie muß nur einen gentechnischen Eingriff nachweisen. Die EU bezieht sich in diesem Punkt auf die im letzten Jahr von der Biotechnologie-Industrie durchgedrückte "Patentierungsrichtlinie" zum rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen. Zur Gretchenfrage heißt es hier: Mit der Natur identisches gentechnisch hergestelltes oder gentechnisch isoliertes biologisches Material ist patentierbar. Dasselbe gilt für Gruppen gentechnisch veränderter Pflanzen und Tiere. Sollten wir Herrn Orwell also doch besser wieder aus der Bücherkiste holen?

Biopiraterie und Wissensklau von indigen
lebenden Menschen und Entwicklungsländern
Die überwältigende Mehrheit der Kenntnisse über die Nutzung der Artenvielfalt ist Teil des traditionellen Wissens indigen lebender Menschen von Nord bis Süd und Ost bis West. Kartoffeln, Mais und Reis aus den traditionellen lokalen Züchtungen in den Amerikas oder Asiens sind zum Beispiel von höchstem Interesse für die Biotechnologie-Industrie. Besitzen sie doch in der Regel Eigenschaften wie Resistenz gegen extreme Temperaturen, Trockenheit oder Krankheiten. Geringfügige genetische Manipulationen genügen bereits, um eine Kommerzialisierung per Patent möglich zu machen.
Im medizinischen Bereich suchen von der Biotechnologie-Industrie entsandte "Bio-Prospektoren" nach traditionellen Heilmitteln, die Wirkstoffe der lokalen Flora und Fauna verwenden. Mit diesem Wissen und den entsprechenden Genproben ausgestattet, können sie ihren Auftraggebern wieder einnmal eine neue pharmazeutische Goldgrube aushändigen. Für die kommerzielle Herstellung des Produktes kann flugs ein Patent zum Schutz des "intellektuellen Eigentums" des Pharma-Konzerns erworben werden.

Entwicklungsländer und indigen lebende Menschen sehen diese Entwicklung mit Unbehagen. Im Rahmen des Artenschutzabkommens wird dieses Problem deshalb zur Zeit in Zusammenhang mit dem Artikel 8j erörtert. Es geht hier vor allem um den Erhalt des traditionellen Wissens, um die Beteiligung und Zustimmung der "Besitzer" dieser Kenntnisse an ihrer weiteren Anwendung sowie um Gewinnbeteiligung an daraus entstehenden Produkten. Besonders wichtig für die VertreterInnen der Entwicklungsländer ist auch die ihnen in Artikel 15 zugestandene Souveränität über ihre genetischen Ressourcen.
Kein Wunder, dass die Debatte um einen möglicherweise entstandenen Konflikt zwischen den beiden Vertragswerken sowohl für Entwicklungsländer als auch indigen lebende Menschen höchste Priorität genießt. Die Diskussion der Beziehung zwischen beiden internationalen Abkommen ist auch aus EU-Sicht durchaus denkbar - schließlich könnte sie letztlich im Interesse der Biotechnologie-Industrie liegen. Die europäische Industrie sieht keine Verpflichtung zu einem Technologie-Transfer in die Länder des Südens ohne Schutz ihrer intellektuellen Eigentumsrechte - es sei denn im Rahmen einer Vertragsbeziehung wie "Technologietransfer gegen Zugang zu genetischen Ressourcen".

Verletzt TRIPs die WTO-Regeln?
Nicht auf der Tagesordnung stehen bisher die Monopolisierungstendenzen des TRIPs-Abkommens. Entgegen der unbegrenzten Liberalisierung des Welthandels, dem sich die WTO im Rahmen des GATT-Systems verschrieben hat, zielt TRIPs auf den Schutz von Immaterialgütern durch rechtliche Monopolisierung. Das führt unweigerlich zu einem Interessenskonflikt.
Heißt es nicht, die Liberalisierung der Weltwirtschaft sei das einzige Mittel zur Armutsbekämpfung?

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Seattle Daily vom 29.11.99

Am Vorabend des WTO-Treffens in Seattle, die offizielle Konferenz hat noch nicht begonnen, zeichnet sich bereits ab, daß dies ein besonderer Gipfel wird. Die ersten Protestaktionen und inoffiziellen Veranstaltungen, Diskussionsforen und Treffen finden bereits statt. Als Willkommens-Gruß seilten sich einige Personen von einer Autobahnbrücke ab und enthüllten ein Anti-WTO-Transparent. Auffällig ist die Stimmung in großen Teilen der Bevölkerung. In Seattle selbst halten viele Menschen nicht viel von der WTO, ihren Zielen und der stattfindenden Ministerkonferenz. In den Tourismus-Läden werden T-Shirts mit dem Aufdruck "No to WTO" angeboten. Die Stadt ist übersäht von Anti-WTO-Plakaten, -Aufklebern und -Graffitti. Auch das Medienecho in den USA ist geteilt. So wimmelt es z.B. in den Regionalzeitungen in Seattle von WTO-kritischen Berichten. In Anbetracht der Uneinigkeit vieler Verhandlungspartner darf man gespannt sein, in welchem Klima das Treffen der "Jahrtausend-Runde" vonstatten gehen wird.

E-commerce und Neue Medien
Natürlich lassen es sich die Herren der Welt nicht nehmen, auf ihrem Treffen in Seattle auch über das "in" - Thema der letzten Monate zu diskutieren. Elektronischer Handel steht auf der Tagesordnung der WTO-Verhandlungen. Dabei sind natürlich die Industrienationen vorne weg. Sie machen die Regeln und den Gewinn, doch zu wessen Lasten? Eine kleine Übersicht zum Thema WTO & E-commerce.

Position der USA:
Sie spielen eine führende Rolle in der Diskussion. In den Vereinigten Staaten verfügen mehr als 40% der Menschen über einen Internetanschluß. Demnach stehen die Unternehmen staunend vor einem neuen, riesigen Markt, den sie bedienen wollen. Die VerbraucherInnen dort sind bereit, das Internet auch als "Kaufhaus" zu nutzen. Verbraucherschutz und Sicherheit für die NutzerInnen spielen in der politischen Auseinandersetzung eine untergeordnete Rolle - dem entsprechen auch die US-amerikanischen Vorschläge für internationale Regelungen.
Selbstregulierung und ein kaum abgesteckter rechtlicher Rahmen für den Internethandel sind die Hauptforderungen. Deshalb ist es kaum verwunderlich, daß die in den USA gängige Praxis als Verhandlungsbasis gilt: der Gerichtsort und dessen Rechtsnorm ist bei einem Streit im Internethandel immer jener des Händlers. Ein US-Unternehmen kann es sich kaum vorstellen, für mögliche Mängel oder Schäden seines Produktes in dem jeweiligen Land vor Gericht zu stehen, aus dem das Produkt bestellt wurde. US-UnternehmensvertreterInnen fordern sogar den Schutz von Unternehmen vor dieser Regelung - sie würde kleinen Unternehmen schaden.

Die EU hingegen geht mit einheitlichen Regelungen und mit der Forderung nach stärkerem Verbraucherschutz in Seattle an den Start. Den EuropäerInnen wird dabei vorgeworfen, die richtigen Weichenstellungen für den e-commerce in der ganzen Welt zu blockieren. Die Rückständigkeit in der Verbreitung des Netzes spiegelt sich auch in den Zahlen der NutzerInnen wieder. In der EU gibt es nur in ca. 8% der Haushalte Internetanschluß, in den USA sind es 4 mal so viele. VerbraucherschützerInnen machen hierfür den Mangel an Sicherheit verantwortlich, der sich in den niedrigen NutzerInnenzahlen ausdrückt.
Für die Konzerne Europas stellt die Verhandlungsposition der EU eine nicht hinnehmbare Blockade ihres Handelns dar, so daß sie - wie in so vielen anderen Themen auch - die Verhandlungsposition der USA befürworten.

Damit setzt sich die EU wenigstens in Teilen für einen Schutz der KundInnen ein, während die USA komplett die Forderungen der "e-Industrie"übernimmt.

Was kommt am Ende raus? Ein wirtschaftsfreundlicher Kompromiss läßt sich schon jetzt absehen und somit die EU-Position als reines Tarnmanöver entlarven. Denn, wenn es keine Einigung über ein internationales Abkommen gibt, bleibt alles beim Alten. Somit bestehen die USA auf dem Prinzip "country of origin" und alle Unternehmen aus den USA werden, falls es zu einen Rechtsstreit kommt, weiterhin vor einem US-Gericht verklagt.

Doch all das kann die übertriebenen Erwartungen in den e-commerce-Sektor nicht überdecken. Die international agierende Gartner Group warnte jüngst in einer Studie vor überzogenen Erwartungen in den elektronischen Handel. Schon im Frühjahr nächsten Jahres werde sich die Hysterie um den e-commerce lichten, wenn "3 von 4 geplanten Internethandelskonzepten nicht so wie gedacht funktionieren". Die Gartner Group prognostiziert einen schnellen Abschwung des Hypes, und eine einigermaßen flächendeckende Nutzung des Netzes zu Buisnesszwecken erwarten die Unternehmensberater erst nach 2004.

Vielleicht bleibt ja dann doch noch etwas Zeit, über andere Modelle des Internethandels nachzudenken. Zum Beispiel über Japans Vertriebswege. Dort wird zwischen KonsumentIn und HändlerIn noch eine Ausgabestation für die Waren geschaltet. Hierfür wird das sehr eng geflochtene Netz von gut ausgestatteten lokalen Einzelhandels-Geschäften genutzt.

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Seattle Daily vom 28.11.99

Hier also die erste Ausgabe des Seattle Daily. Noch herrscht Ruhe in Seattle, aber überall werden Vorbereitungen getroffen, sowohl für die Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO) selbst, als auch für die Protestaktionen. Ich werde ab jetzt eine Woche lang täglich aus Seattle berichten. Im ersten Teil werde ich euch/Ihnen aktuelles aus Seattle berichten, ein zweiter Teil enthält Hintergrundinformationen über einzelne Verhandlungspunkte. Außerdem kann man die Informationen im Internet aufrufen unter: www.Ilka.org.

Montesquieu adieu, lang lebe der Sonnenkönig!
Ludwig XIV. würde wahrscheinlich beim Lesen der WTO-Richtlinien vor Freude in die Hände klatschen, denn vom Sonnenkönig selbst stammt der Satz "L'Etat, c'est moi!". Allerdings lebte er im 17. Jahrhundert, seitdem haben sich die Menschen mit vielen Opfern die Demokratie erkämpft. Ein Meilenstein in der Geschichte ist hierbei die Erreichung der Gewaltenteilung in gesetzgebende, ausführende und rechtsprechende Gewalt. Montesquieu - seines Zeichens Theoretiker und Verfechter der Gewaltenteilung - würde sich angesichts der WTO-Befugnisse wohl im Grabe umdrehen.

Am Anfang war das GATT
Die Welthandelsorganisation (WTO) ging aus dem seit 1948 bestehenden Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT) hervor. Ursprünglich war das GATT ein Abkommen zum internationalen Abbau von Einfuhrzöllen, zur internationalen Regelung der nationalen Handelspolitiken und zur Liberalisierung des Weltmarktes. Die letzte von acht Verhandlungsrunden zur weiteren Ausdehnung begann 1986 in Uruguay („Uruguay-Runde") und endete 1993 mit der Abschlußerklärung von Marrakesch. Ein Ergebnis der Uruguay-Runde ist die Gründung der WTO, welche in den vergangenen Jahren zu einer der mächtigsten, internationalen Institutionen herangewachsen ist. Mit der WTO verfügt die Industrie nun endlich über ein Instrument, um allen - nunmehr auf Objekte des Handelsverkehrs reduzierten - menschlichen Tätigkeiten ihre Regeln vorzuschreiben.

Die Jahrtausend-Runde will Konzernherrschaft etablieren
Vordergründig sieht es so aus, daß die WTO nur den Handel bestimmt. Dies ist allerdings schwerwiegender und umfassender in seinen Auswirkungen, da sie damit in immer größerem Ausmaß die Lebensbedingungen jedes einzelnen von uns beeinflußt. Egal ob es sich um den Ernährungsbereich, um den Handel mit Dienstleistungen, um Investitionen, Patente, Kulturgüter oder Umweltstandards handelt, nichts geht ohne die WTO und ihre allmächtigen Fadenzieher im Hintergrund, die Industrielobbyisten. Nationale Gesetze werden, falls sie dem Freihandel im Wege stehen, ausgehebelt, WTO-Recht bricht jedes andere Recht, auch wenn das z.B. die Senkung von Gesundheitsstandards, Verbraucherschutz oder Umweltrichtlinien bedeutet. Besonders mit der sogenannten Meistbegünstigunsklausel ist ihr ein mächtiges Instrument zum Schutz der Interessen der Konzerne zur Seite gestellt worden: sie besagt, daß alle Handelsvorteile, die ein WTO-Mitgliedsstaat einem anderen Land (ob WTO-Mitglied oder nicht) gewährt, auch auf alle anderen WTO-Staaten anzuwenden sind - und zwar "unverzüglich und bedingungslos". In der Praxis verbietet diese Klausel einen Boykott von unsozial, unökologisch oder menschenverachtend hergestellten Produkten.

Da die WTO über keine Gewaltenteilung verfügt, unterliegt sie auch keinerlei demokratischen Kontrollen. Genau diese ist aber von zentraler Bedeutung, um die Dominanz der Wirtschaft zu verhindern. Mit dem voraussehbaren Effekt, daß die Konzerne die Kontrolle übernehmen, haben die Regierungen sich die Verantwortung abkaufen lassen. Was bleibt ist eine grenzenlose Konzernherrschaft. Und das, obwohl es um nichts geringeres als z.B. die Beilegung von Handelsstreitigkeiten zwischen den Mitgliedsstaaten geht.

Geld regiert die Welt
Hierzu wurde die WTO mit weitgehenden Machtbefugnissen ausgestattet. Urteile, die vom WTO-Schiedsgericht in einem Streitfall zwischen Mitgliedstaaten gefällt werden, müssen im Sinne der Genfer Richter auf nationaler und internationaler Ebene umgesetzt werden, auch wenn das eine Verwässerung nationaler Gesetze bedeutet. Dieses Gericht besteht aus Wirtschaftsexperten, die außer den Regeln des Freihandels keine anderen sozialen, ökologischen oder rechtlichen Gesichtspunkte in Betracht ziehen. Natürlich wird jedem Staat das Recht zur Klage eingeräumt. Dieser Prozeß ist allerdings so geld- und zeitintensiv, daß die sogenannten Entwicklungsländer meist nicht einmal Klage erheben. Es geht also nicht um gleiche Rechte sondern offensichtlich um das Recht des finanziell Stärkeren. Auch deshalb bezeichnete die «Financial Times» die WTO gemeinsam mit der Weltbank und dem IMF als «de facto Weltregierung», konstituiert, um den Interessen von transnationalen Unternehmen, Banken und Investmentfirmen zu dienen in einem «neuen imperialistischen Zeitalter».

Die Ministerkonferenz in Seattle soll eine dreijährige neue Verhandlungsrunde einleiten, an deren Ende neue Verträge stehen sollen, um für die Konzerne den Welthandel weiter zu vereinfachen, Märkte zu öffnen, den Handel hemmende Zölle und Subventionen zu verbannen, einheitliche Produktionsnormen und Herstellungsstandards festzulegen sowie eine Liberalisierung von Direktinvestitionen und des öffentlichen Beschaffungswesens auszuhandeln. Bis jetzt sieht es allerdings nicht so aus, als ob es während der Ministerkonferenz zu konkreten Ergebnissen kommen könnte. Die 134 Mitgliedsstaaten können sich noch nicht einmal auf eine Tagesordnung für Seattle einigen, da sie über beinahe jedes potentielle Thema zerstritten sind. Ein Scheitern von Seattle wäre allemal ein Erfolg: die Regierungen hätten endlich Zeit, sich nicht nur von der Industrielobby einschläfern und einkaufen zu lassen, sondern die Prinzipien der WTO generell in Frage zu stellen, die katastrophalen Auswirkungen der letzten fünf Jahre zu bilanzieren sowie wichtige Alternativen zur Konzernherrschaft zu etablieren.

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ilka.org sicher lesen? dann: https://www.ilka.org