Atom | Denkpause 3 | 25.01.00
Der Ausstieg ist schnell möglich und nötig Atomstaat abschaltenDie EU gibt eine Menge Geld für die Erforschung und Entwicklung der Atomkraft aus: Während innerhalb der EU sechs Staaten bereits am Aussteigen sind, vier dabei sind, den Ausstieg zu beschließen, weitere vier sich nie auf die Atomenergie eingelassen haben, stützt sich die EU weiter auf den Euratom-Vertrag von 1957. [Ilka Schröder fordert | Weitere Informationen] Mit der Inbetriebnahme des letzten westeuropäischen Atommeilers in Frankreich im Dezember 1999 werden sich die Aktivitäten jetzt auf Osteuropa konzentrieren. Die Europäische Kommission wollte zunächst die Atomreaktoren der neuen Beitrittskandidaten, welche nicht den sicherheitstechnischen Mindestanforderungen entsprechen, entweder nachrüsten oder schließen lassen. Inzwischen hat sie diese Pläne revidiert und tut nun das Gegenteil. Doch auch in der Bundesrepublik Deutschland werden AKW trotz rot-grün wohl noch einige Jahre laufen. Die Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag von Oktober 1998 sind nicht mehr das Papier wert, auf dem sie stehen. In hundert Tagen Regierungszeit eine umfangreiche Änderung des Atomgesetzes, nach einem Jahr ein Ausstiegsgesetz, eine umfassende und unumkehrbare gesetzliche Regelung des Atomausstieges: »Atomausstieg nur mit uns«? - Fehlanzeige. »Konsens ist Nonsens«, ein alter Spruch aus der Anti-Atom-Bewegung, ist wohl in Vergessenheit geraten. Dabei ist er aktueller als je zuvor. »Konsenssuche bedeutet die Teilung der politischen Macht mit demokratisch nicht legitimierten Kräften.« kommentiert selbst die nicht gerade industriefeindliche F.A.Z. am 6.9.1999. Kommt ein »Atomkonsens« - eine Vereinbarung zwischen Bundesregierung und Atomindustrie - zustande, werden der Regierung als »Friedenspflicht« zahlreiche Zugeständnisse abverlangt. Die Bundesregierung verzichtet dann auf alle Maßnahmen, mit denen »exekutiv« aus der Atomenergie ausgestiegen werden könnte. Sicherheitstechnische Auflagen dürfen nicht verschärft werden, eine neue Sicherheitsphilosophie darf nicht entwickelt werden, Entsorgungsnachweise dürfen nicht mehr scharf überprüft werden und die Haftungsverpflichtung bei einem GAU darf nicht erhöht werden. Die Sicherheitsüberprüfung darf nur noch »nach dem bestehenden Regelwerk« erfolgen, neue Erkenntnisse über Unsicherheiten - z.B. nach einem neuen GAU - dürfen also nicht berücksichtigt werden. Der Atomausstieg kann nicht allein per Regierungs- oder Parlamentsbeschluß ohne die Macht auf Straßen und Schienen erkämpft werden - das ist klar. Böswillig atomfreundlich ist es aber, wenn Regierung und Parlament verhindern, daß andere Akteure, wie die bunte Anti-Atom-Bewegung, den Atomausstieg selbst einleiten. Die Voraussetzungen dafür sind - durch die letzte Bundesregierung geschaffen - eigentlich nicht schlecht: Die Becken zur Lagerung der abgebrannten Brennelemente sind voll. Einige AKWs müssen im Jahr 2000 wegen des Merkelschen Castor-Transportstopps ein Schild an ihre Tore hängen: »Wegen Überfüllung abgeschaltet«. Atomtechniker nennen das die »Stillegung durch die kalte Küche«. Im Normalfall müßte jetzt ein Castor-Transport stattfinden, der wunderbar blockiert werden kann. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) und der niedersächische Innenminister wollen wegen der EXPO im Jahr 2000 keinen Castor-Transport durchprügeln. Die Gewerkschaft der Polizei wirft die Frage auf, warum die Bundesregierung mit der Atomindustrie um einen Konsens verhandele, nicht aber mit ihren BürgerInnen. Die Bundesregierung »müsse auch auf die Atomkraftgegner hinwirken, die Proteste zu minimieren oder anders zu gestalten« (F.A.Z. 8.1.2000). Letzteres ist natürlich eine schlechte Idee: Die Wirkstofformel der Anti-Atom-Bewegung besteht nämlich gerade aus der Kombination von sitzblockierenden SeniorInnen, sabotierenden LandwirtInnen und grabenden Autonomen. Die »Verstopfungsstrategie« ist die derzeit wirkungsvollste Möglichkeit, ein Ausschalten der AKWs zu erreichen. Aber der Umweltminister wird nicht müde zu betonen, daß er diese Strategie gar nicht verfolge. Er wird von Fraktionssprecher und Außenminister der eigenen Partei zu einem atomfreundlichen Vorgehen angehalten. Spricht man regierungstreue PolitikerInnen auf den Atomausstieg an, heißt es, aus der Atomkraft ließe sich kaum aussteigen, nur gegen »Entschädigungsforderungen« in Milliardenhöhe, und das komme ja wohl nicht in Frage. Wer hier eigentlich wem schadet, hinterfragen die wenigsten. »Lieber langsam vorgehen - aber so, daß der Ausstieg das Bundesverfassungsgericht übersteht« ist eine andere häufige Aussage. Diese Aufrufe zur vermeintlichen Gesetzestreue kommen aus Mündern, die sich mit ihrer Zustimmung zum Kosovo-Krieg gerne über die Verfassung hinweggesetzt haben. Hier scheint das Verbot eines Angriffskrieges und die Achtung des Völkerrechts nicht so wichtig zu sein, wie das Eigentumsrecht der Atomkonzerne an ihren strahlenden Kraftwerken. Jedes Atomausstiegsszenario, das länger als die Legislaturperiode dauert, ist umkehrbar. Eine andere Regierung kann Gesetze oder Vereinbarungen mit der Industrie abändern. Sind die Atomanlagen dagegen am Wahltag 2002 schon zwei Jahre stillgelegt, wird eine Inbetriebnahme sehr schwierig bis unmöglich. Ist von juristischen Problemen die Rede, dann werden diese von Nicht-JuristInnen in der Regel als »wahr« hingenommen. Der Rechtsanwalt und Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele erklärte Ende November letzten Jahres, daß das Bundesverfassungsgericht - selbst wenn es die unwahrscheinliche Entscheidung gegen das Ausstiegsgesetz treffen würde - nicht Entschädigung in Milliardenhöhe, sondern schlimmstenfalls ein Weiterlaufen der AKWs beschließen könne. Allerdings habe das Bundesverfassungsgericht immer wieder betont, das politische Fragen vom Gesetzgeber zu entscheiden sind, so Ströbele. Andere haben schon mal die potenzielle Höhe der Entschädigungen ausgerechnet: Der Zeitwert der deutschen AKWs beträgt etwa 10 Milliarden DM, das wäre pro BürgerIn eine einmalige Zahlung von 130 DM oder weniger als ein Viertel der jährlichen Militärausgaben der BRD. Die Milliarden wären eingesetzt für die sinnvolle Sache, ohne Atomkraft zu leben. Einen Teil würde der Staat an sich selbst bezahlen, da auch er an AKW beteiligt ist. Die Entwicklung der Atomkraft hat der Staat aus Steuergeldern mit 42 Milliarden DM gefördert, die Rückstellungen in Höhe von 65 Milliarden DM sind steuerfrei und werden munter für Engagements in anderen Sparten investiert. Ein GAU kostet nach Berechnungen des (nicht als atomfeindlich bekannten) Prognos-Instituts bis zu 10 Billionen DM, bis zu 15.000 Soforttote und bis zu 4,8 Millionen Krebstote. Die Errungenschaften der neuen Bundesregierung in der Sozial-, Gesundheits-, Renten- und Bildungspolitik wären im wahrsten Sinne des Wortes »auf einen Schlag« dahin. Für Manche noch schlimmer: Die durch die rot-grünen Steuergeschenke an die Großkapitalisten blühenden Aktienkurse könnten sinken. [Atompolitik] Ilka Schröder fordert:
Zum Weiterlesen:Knete statt Feile: Ilka Schröder kaufte Anfang September den Atomkraftgegner Gerald Neubauer aus der Justizvollzugsanstalt in Achim frei, indem sie einen Teil seiner ausstehenden Tagessätze bezahlte: »Demonstrationen und Aktionen gegen Atomtransporte sind ein legitimes Mittel, um einen Atomausstieg zu erreichen, der seinen Namen verdient hat. Neubauer gehört auf die Schiene und nicht in den Knast.« sagte sie der anwesenden Presse. |
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